Heidelberger Katechismus Frage ...

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Glauben und glauben lassen - Eine Ausstellung über Freiheiten und Grenzen
27.09.2023-15.07.2024, Hamburg-Altona

Eine Sonderausstellung spannt einen Bogen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart und zeigt, dass die Geschichte der Glaubensfreiheit eine Geschichte über Freiheiten und Grenzen ist. Auch unsere reformierte Gemeinde konnte bekanntlich ab 1602 in Altona siedeln und eine Kirche an der Großen Freiheit errichten. Die Ausstellung erzählt Altonas Glaubens- und Freiheitsgeschichte und führt die religiöse Vielfalt damals wie heute vor Augen. Einen lebendigen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart soll die Ausstellung ermöglichen, denn auch heute muss um Freiheiten gerungen werden. Weltweit ist die Freiheit zu glauben - oder nicht zu glauben - ein Vorrecht weniger.

Schon im Oktober 2020 stand die Ausstellung auf der Agenda. Dann kam die Pandemie und hat die Ausstellung ausgebremst. Jetzt endlich ist sie erneut zugänglich. Damals hat Kuratorin Dr. Hirsch über ein halbes Jahr den Kontakt zu unserer Gemeinde gepflegt. Im gemeinsamen Gespräch haben wir die reformierte Gemeindegeschichte erforscht und Exponate für die Ausstellung ausgewählt. So stellten wir dem Altonaer Museum alte Abendmahlskelche, eine alte französische Bibel und ein französisches Gesangbuch als Leihgaben zur Verfügung. Diese Exponate werden gleich im Eingangsteil der Ausstellung zu sehen sein... neben jüdischen, katholischen und mennonitischen Leihgaben. Außerdem sind Videoclips von Gemeindegliedern zum Thema „Glaubensfreiheit“ zu sehen. Und die Familiengeschichte der Familie Boué ist – exemplarisch für eine hugenottische Flüchtlingsfamilie – dokumentiert.

Eine unserer Leihgaben ist die silberne Abendmahlskanne, die von Johann Peter Menadier gespendet wurde (siehe Abbildung). Er ist der Erfinder der Altonaischen Kronessenz. In unserer Dauerausstellung – so schreibt Dr. Hirsch - findet sich folgender Text über ihn:

Nach der Vertreibung der französischen Protestanten, der Hugenotten, aus Frankreich bildete sich ab 1685 auch in Altona eine franzö- sisch-reformierte Gemeinde. Der Hugenotte Johann Peter Menadier (1735–1797) emigrierte nach Altona und verkaufte eine von ihm seit 1773 hergestellte Gesundheitsessenz, die „Essentia Coronata“. Ab 1796 ist das Mittel als „Keisserliche privilegirt Altonatiche W. Krones- sents“ nachweisbar. In kleinen Glasflaschen wurde die Kräutertinktur als „Wundermedizin“ gegen eine Vielzahl von Erkrankungen verkauft und weltweit verbreitet. Nach Menadiers Tod führte seine Witwe Anna Cecilia geb. Sparka die Geschäfte weiter. Die Firma „J. P. Menadier Wwe & Sohn“ wurde 1951 von der Firma Asche & Co. AG übernommen, die seit 1972 zur Schering AG gehört.



Der Heidelberger Katechismus in der Grafschaft Bentheim ab 1700

Von Hinnerk Schröder

Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Leben in der Grafschaft Bentheim durch die Erbauseinandersetzungen nach dem Tode von Graf Ernst Wilhelm im Jahre 1693 bestimmt. Graf Ernst Wilhelm hatte seinen Neffen Arnold Mauritz Wilhelm, der wie er zum katholischen Glauben übergetreten war, als seinen Erben eingesetzt. Dagegen wandten sich die – reformiert gebliebenen – Söhne Ernst Wilhelms, unterstützt vom König von Großbritannien, der als Statthalter der Niederlande Lehnsherr eines Teils der Niedergrafschaft war.

Nach einigen gescheiterten Vermittlungsversuchen einigten sich die Parteien im November 1701 und unterzeichneten den „Vergelyk en Compromissariale uitspraak van Syne Britannische Majesteit“ (Haager Vergleich oder Laudum regium). In diesem Vergleich, der vom König von Großbritannien sowie dem König von Preußen und den Generalstaaten der Niederlande garantiert wurde, geht es nicht nur um einen Kompromiss in den Erbauseinandersetzungen, sondern auch um „gravamina ecclesiastica“. In 16 Artikeln werden die Rechte der reformierten Kirche unter einem katholischen Grafen von Bentheim festgeschrieben.

Die wichtigste Regelung ist, dass der Oberkirchenrat „tot waerneminge van het Geestelyk of Kerckelyk regiment“, der unter der katholischen Herrschaft abgeschafft worden war, wieder eingesetzt wird. Er ist jetzt aber keine gräfliche Behörde mehr, sondern besteht aus fünf reformierten Personen, die sich im Fall einer Vakanz selbst ergänzen – der Graf darf nur noch zustimmen.

Es war deutlich, dass die Regelungen des Haager Vergleichs nicht ausreichten, um eine von der Obrigkeit unabhängige reformierte Kirche zu gestalten. Auch die Vorschriften der Kirchenordnung von 1588, die zudem eine gräfliche Ordnung war, genügte nicht mehr den Anforderungen des 18. Jahrhunderts. So erließ der Oberkirchenrat mit „advis“ der Classis der reformierten Prediger und dem Rat anderer Theologen 1709 eine Kerkenordre der Graafschap Benthem.

In dieser Kirchenordnung spielt der Heidelberger Katechismus eine wichtige Rolle, und zwar sowohl als Bekenntnisschrift als auch zur Unterweisung der Gemeinde und insbesondere der Jugend.

Als Grundlagen für die Lehre der reformierten Kirche nennt die Kirchenordnung in Artikel I die heiligen Bücher des Alten und Neuen Testaments, die Artikel des Glaubens und andere „Formulieren van eenigheid“, die von allen reformierten Kirchen angenommen worden seien. Alle Prediger sollen den Heidelberger Katechismus eigenhändig unterschreiben und – wenn nötig – ihre Unterschrift mit einem feierlichen Eid bekräftigen, ebenso die 12 Bentheimer Artikel aus dem Jahre 1613. Damit erhalten der Heidelberger Katechismus und die 12 Artikel für die Grafschafter Kirche eine besondere Bedeutung, während die anderen Bekenntnisse (in den Niederlanden gehören zu den „Formulieren van eenigheid“ neben dem Heidelberger Katechismus auch das Niederländische Bekenntnis von 1561 und die Dordrechter Canones von 1619) keine Rolle spielen. (Erst bei der Bildung der Evangelisch-altreformierten Kirche taucht die Frage auf, ob die Dordrechter Canones in der Grafschaft Bentheim gelten.)

Neben den Pastoren werden auch die Mitglieder und der Sekretär des Oberkirchenrats, die Ältesten, Diakone, Kirchmeister, Provisoren und alle Mitglieder des Kirchenrats sowie die Küster, Schulmeister, Vorleser, Vorsänger und Organisten auf den Heidelberger Katechismus verpflichtet. Sie glauben und bekennen, dass „die Bücher des Alten und Neuen Testaments das Wort des wahrhaftigen Gottes sind und dass unsere Reformierte Religion, so wie sie im Heidelberger Katechismus ausgedrückt wird, damit vollkommen übereinstimmt.“

Wenn der Heidelberger Katechismus Ausdruck des reformierten Glaubens ist, muss er der Gemeinde bekannt sein. Die fortlaufende Lesung des Katechismus, wie sie in der Kurpfälzischen Kirchenordnung an neun bzw. zehn Sonntagen vorgeschrieben ist, findet allerdings in der Grafschaft Bentheim nicht statt. Hier werden die „fünf Hauptstücke der christlichen Religion“ (10 Gebote, Glaubensbekenntnis, Unser-Vater-Gebet und Einsetzungsworte von Taufe und Abendmahl) in allen Gottesdiensten verlesen. Im Nachmittagsgottesdienst soll aber an Hand von Texten aus der Schrift der Heidelberger Katechismus behandelt werden und im Lauf eines Jahres – wie in der Kurpfalz – ganz durchgenommen werden.

Zu Beginn des Katechismusgottesdienstes sollen Schulkinder, die vom Lehrer vorbereitet und ausgewählt sind, die Fragen aus dem Katechismus aufsagen, über die gepredigt werden soll. Nach der Predigt findet dann ein vertiefendes Gespräch mit den erwachsenen Gemeindegliedern über die entsprechenden Fragen und die Predigt statt (Katechisation). Daneben sollen aber auch die Kinder entsprechend ihrem Alter unterrichtet werden.

Die Katechismusgottesdienste scheinen sich keiner großen Beliebtheit erfreut zu haben. In der Bentheimer Kirchenordnung wird festgelegt, dass sich niemand wegen der geringen Zahl der Hörer entschuldigen darf, wenn er den Nachmittagsgottesdienst ausfallen lässt, und wenn er auch nur „alleen voor syn huisgesin in de kerke prediken“ müsste. Auch werden die Gemeindeglieder ausdrücklich ermahnt, dass niemand von der Katechismuspredigt wie von der Katechisation befreit und „verschoont“ sein soll. Die Lehrer sowie die Hausgenossen des Pastors, des Lehrers und des Küsters sind verpflichtet, in der Katechisation zu antworten.

Dass es trotz der Vorschriften der Bentheimer Kirchenordnung Schwierigkeiten mit dem Katechismusgottesdienst und der Katechisation gab, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 1776. In der Classis-Versammlung am 28. August 1776 in Gildehaus wird dem dortigen Pastor Osthoff vorgeworfen, dass er keine Katechisation in der Kirche durchführe. Er bestätigt dies und weist darauf hin, dass er im Anschluss an den Nachmittagsgottesdienst eine Katechisation im Pfarrhaus durchführe. Dorthin kämen über 50 heranwachsende junge Leute, „die sich nicht bequemen würden öffentlich in der Kirche zu erscheinen“. Auch in der Woche – besonders im Winter – halte er Katechisationen für die Jugend. Die Classis besteht aber auf dem Wortlaut der Kirchenordnung, und Pastor Osthoff fügt sich dem.

Dieser Vorfall zeigt auch, dass sich bis 1776 ein Konfirmandenunterricht (Katechisation unter der Woche) herausgebildet hatte. 1709 ist die Konfirmation (= Ablegung eines persönlichen Glaubensbekenntnisses und Zulassung zum Abendmahl) so geregelt, dass die Pastoren einige Wochen vor einer Abendmahlsfeier eine Katechisation halten, um die, die neu zum Abendmahl kommen möchten, vorzubereiten. Das Bekenntnis wird dann vor dem (oder beiden) Pastoren und einem Ältesten abgelegt. Aber „so veel doenlyk is“, soll dahin wirken, dass das Glaubensbekenntnis öffentlich vor der ganzen Gemeinde abgelegt wird. Die Kinder und Hausgenossen der Oberkirchenräte, Pastoren, Mitglieder des Kirchenrates, Küster und Lehrer sollen den anderen mit gutem Beispiel vorangehen.

Hieraus hat sich im Laufe der Zeit und in den Gemeinden unterschiedlich die Konfirmation vor der Gemeinde entwickelt. Gleichzeitig wurde der Unterricht vor der Konfirmation ausgeweitet.

Dabei dürfte der Heidelberger Katechismus zum größten Teil den Konfirmanden bekannt gewesen sein. Denn in den Schulen gehört er zum festen Lehrplan. Der Mittwoch- und der Sonnabendvormittag sollen ganz der religiösen Unterweisung zur Verfügung stehen. Einen großen Teil des Unterrichts nimmt dabei das Auswendiglernen und Aufsagen von Gebeten, Psalmen, Lobgesängen, Sprüchen aus der Heiligern Schrift und Fragen des Heidelberger Katechismus ein.

Allerdings dürften die Ergebnisse unterschiedlich ausgefallen sein. Zwar gab es in den Kirchorten ein geregeltes Schulwesen, und die Kinder, die nicht weiter als eine halbe Stunde von der Schule entfernt wohnten, sollten die Schule mindestens drei Jahre besuchen (von 6 bis 8 Jahren), wenigstens so lange, bis sie gut lesen konnten. In den Bauernschaften war der Schulbesuch häufig kürzer, die Lehrer dort waren kaum qualifiziert. Noch im 19. Jahrhundert wird über das niedrige Niveau der „Nebenschulen“ geklagt.

Insgesamt zeigt aber die Bentheimer Kirchenordnung, wie man Anfang des 18. Jahrhunderts reformiertes Kirchenwesen gerade auch mit Hilfe des Heidelberger Katechismus zu gestalten versucht, der den Gemeindegliedern durch die Katechismuspredigten und die Katechisationen auch bekannt ist.

Im Lauf des 18. Jahrhunderts blieb die Grafschaft Bentheim aber nicht unberührt von den allgemeinen theologischen Strömungen. P. L. de Jong macht auf den Einfluss des Pietismus und des Rationalismus aufmerksam.

Der Einfluss des Pietismus zeigt sich zum Beispiel in dem beginnenden Konventikelwesen. In manchen Gemeinden hatte es sich ergeben, dass bestimmte Gemeindeglieder in besonderer Weise auf die Fragen des Pastors bei der Katechisation im Nachmittagsgottesdienst antworteten. Sie erhielten den Namen „Katechisanten“. Manche setzten das Gespräch über die Predigt nach dem Gottesdienst in den Bauernschaften oder in Hauskreisen fort. Im Lauf der Zeit ergab sich eine gewisse Selbständigkeit der Katechisanten, so dass sie gewissermaßen eigene Gottesdienste hielten. Dies wurde von den Pastoren und Kirchenräten und aber auch vom Oberkirchenrat mit Sorge betrachtet.

1773 beschließt darum der Oberkirchenrat, dass es keine ungenehmigten Konventikel mehr geben dürfe. Die Pastoren sollten den Katechisanten ein Lehrbuch für ihren Dienst an die Hand geben. Dabei wird an den Heidelberger Katechismus gedacht oder auch an die Bearbeitung des Katechismus von Friedrich Adolf Lampe (Milch der Wahrheit 1720).

Im 18. Jahrhundert lässt sich der Konflikt noch beherrschen, zumal auch einige Pastoren vom Pietismus beeinflusst zu sein scheinen. Während die bei der Classis gehaltenen Predigten schon immer als „rechtzinnig“ und „stichtelich“ bzw. „orthodox“ und „erbaulich“ bezeichnet werden, taucht gegen Ende des 18. Jahrhunderts häufiger ein „sehr erbaulich“ auf. Auch bei den Gebeten werden gefühlsbetonte Adjektive verwandt.

Eine zweite Bewegung, die die Theologie gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestimmte, wird häufig unter dem Begriff „Rationalismus“ zusammengefasst. Im Gefolge der Aufklärung versuchte man, den christlichen Glauben mit der menschlichen Vernunft zu versöhnen. Das Ergebnis ist die Betonung der Vorsehung Gottes und die Verkündigung Jesu als Tugendvorbild. Auch Pastoren in der Grafschaft Bentheim scheinen davon beeinflusst zu sein, auch wenn die Auseinandersetzungen um die rechte Lehre in den Classis-Protokollen nur spezielle Einzelfälle betreffen.

Wie weit der Rationalismus aber verbreitet war, zeigt sich Anfang des 19. Jahrhunderts. In der Classis-Versammlung am 25. April 1805 „produceerde de Heer Broeder Caterberg een aanschryven van Syne Erlauchte, onser landsheer, warin Hoogderselve den wensch en verlangen te bekennen gaaf om een algemeen onderwysboek in de lere der waarheden by de gemeenten der grafschap te introduceeren, om de aankomende Jeugd nat selve te onderrichten, waarin men sig so veel doenlick aan den Heidelbergschen Catechismus int opstellen van’t selve sou houden. En is dit werk opgedragenan den Heer Broeder Caterberg, die’t selve dan ook op sig genomen heft.“

Graf Ludwig Wilhelm, der 1803 nach dem Aussterben der katholischen Linie als reformierter Graf von Steinfurt die Grafschaft Bentheim geerbt hatte, möchte einen neuen Katechismus einführen. Ob dies auf die Vielzahl der verwendeten Unterrichtsbücher zurückzuführen war, die bereinigt werden sollte, oder ob sich der Graf als reformierter Landesherr auch als Oberhaupt der reformierten Kirche herausstellen wollte – dazu passt, dass er den Haager Vergleich von 1701 für aufgehoben erklärte –, kann nicht entschieden werden. Die politischen Veränderungen ab 1806 trafen den Grafen: er wurde von den Franzosen abgesetzt.

Währenddessen hatte Pastor Katerberg einen ersten Entwurf eines Katechismus fertig gestellt, der der Classis am 16. April 1806 vorlag. Es wurden einige Anmerkungen zum Entwurf gemacht, die Katerberg, der selbst nicht an der Sitzung teilnahm, mitgeteilt werden sollten. Eine intensivere Diskussion gab es zur Frage der Prädestination.

Am 27. August 1806 wird Pastor Schultz aus Nordhorn, der sich besonders für einen Abschnitt über die Prädestination eingesetzt hatte, gebeten, ein entsprechendes Lehrstück zu verfassen. Dies liegt bei der Sitzung am 8. April 1807 vor. Aber es wird diskutiert, ob dieses Lehrstück in ein Buch für die Jugend passt. Schließlich einigt man sich, nachdem die Angelegenheit im August 1807 noch einmal verschoben war, am 27. April 1808: Auf Vorschlag von Pastor Schultz wurde eine Frage „Worüber streckt sich der Ratschluß Gottes aus?“ eingefügt. Die antwort lautet: „Insgemein über alles, so dass nicht ist noch geschieht, als was Gott in seinem Rathe beschlossen hat. Insbesondere geht der Ratschluß Gottes über die endliche Bestimmung der vernünftigen Geschöpfe, und vornehmlich der Menschen.“ Dieser Formulierung stimmte Katerberg zu und am 30 August 1809 konnte protokolliert werden: Es wurde den Herrn Brüdern angezeigt, dass der auf Bewirken der Classis von dem Herrn Assessor Katerberg ausgefertigte ‚Kurze Entwurf zum Unterricht im Christentum’ behuf Einhelligkeit in den Katechisationen der Prediger und Schullehrer in beiden deutschen Dialekten fertig und die von den beteiligten Gemeinden pränumerierte Anzahl Exemplare zu Gildehaus zur Ablieferung vorhanden sei.“

Der Katerbergsche Katechismus umfasst 423 Fragen, sie sind in der Regel kürzer und einfacher als die Fragen des Heidelberger Katechismus. Es sind zwar alle theologischen Inhalte des Heidelbergers noch vorhanden, aber die Betonung liegt auf Pflicht und Tugend.

In der reformierten Kirche der Grafschaft Bentheim gab es nun zwei Katechismen. Im kirchlichen Unterricht wurde in der Regel der Katerbergsche benutzt, in den Nachmittagsgottesdiensten der Heidelberger ausgelegt. Ob auch noch dazu Katechisationen zum Heidelberger gehalten wurden, ist unklar. In den Schulen wurden beide Katechismen gelernt.

Im Jahre 1855 schreibt der Oberkirchenrat an die Lehrer in der Grafschaft Bentheim über die Ziele, die ein durchschnittlicher 14jähriger Schüler erreicht haben muss:
….
„2. Auswendigwissen des Katerberg’schen und des Heidelberg’schen Katechismus und Verständnis des Inhalts derselben.“

Im Jahre 1863 startet der Oberkirchenrat eine Umfrage in den Gemeinden, welche Lehrbücher im Unterricht in der Kirche und in der Schule gebraucht werden. Die Gemeinde Schüttorf antwortet, dass der Confirmations-Unterricht nach dem Katerberger Katechismus durch den Prediger erteilt wird, dass aber in der Schule zwei Katechismen, der Katerbergsche und der Heidelberger von den Schulkindern auswendig gelernt werden. Auch in anderen Gemeinden werden beide Katechismen gelernt. In Nordhorn wird gewöhnlich am Mittwoch ein Pensum aus dem Katerbergschen Katechismus behandelt, am Sonnabend wird ein Stück aus dem Heidelberger aufgesagt. Ferner wird aus Nordhorn berichtet, dass der Konfirmandenunterricht nach dem Katerbergschen Katechismus erteilt wird, aber auch auf den Heidelberger Rücksicht genommen wird „besonders da, wo er so kernige und vortreffliche Erklärungen gibt“

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird der Rationalismus in der Theologie überwunden. Es erwacht auch wieder ein gewisses dogmatisches, ja konfessionelles Denken. Am 18. Juni 1862 beschließt die Classis, dass am dritten Sonntag im Jahr 1863, also am 18. Januar in den Vormittagsgottesdiensten des Heidelberger Katechismus gedacht und über ihn gepredigt wird. Dieser Beschluss wird auch der Lingener Konferenz mitgeteilt, mit der Bitte, ebenso zu verfahren. Ab 1870 scheint der Katerbergsche Katechismus in der Grafschaft Bentheim endgültig außer Gebrauch gekommen zu sein.

 

Im Jahre 1882 wird die Grafschaft Bentheim Teil der neu geschaffenen Reformierten Kirche der Provinz Hannover. Der Heidelberger Katechismus wird in der neuen Kirchengemeinde- und Syndal-Ordnung nicht erwähnt. Ein Antrag des Synodalen Döscher aus Ringstedt, in § 1 hinzuzufügen: „Grundlage dieser nach Gottes Wort reformierten Kirche ist die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments, Lehrnorm der Heidelberger Katechismus“ wurde nach einer Äußerung des Königlichen Kommissars zurückgezogen. Auch in § 17, der die Verantwortung des Kirchenrats für die religiöse Erziehung der Jugend und für den Konfirmandenunterricht beschreib, fehlt ein Hinweis auf den Heidelberger Katechismus. Vielleicht geschah dies, weil in den Gemeinden der Grafschaft Plesse der Heidelberger Katechismus erst 1895/96 eingeführt wurde.

In den Gemeinden der Grafschaft Bentheim dürfte nach 1882 der Heidelberger Katechismus Lehrnorm und Inhalt des Konfirmandenunterrichts gewesen sein.
Besonders die Pastoren in Nordhorn und der Niedergrafschaft, die von Kohlbrügge beeinflusst waren, schätzten den Heidelberger Katechismus sehr. Ab 1910 gibt z.B. Pastor Schumacher zuerst in Laar, dann in Uelsen die Biblischen Zeugnisse „im Auftrag der Freunde des Heidelberger Katechismus“ heraus, einige Jahre haben sie sogar den Untertitel „Monatsblatt der Freunde des Heidelberger Katechismus“.

In den Gemeinden der Grafschaft Bentheim werden am Sonntag nachmittags Katechismuspredigten gehalten, im Konfirmandenunterricht wird der Katechismus behandelt und zum sehr großen Teil auswendig gelernt. Die Katechisationen scheinen im Lauf der Zeit abgeschafft worden zu sein, allerdings haben einige Gemeinden sie während der Sommermonate, in denen kein Unterricht stattfand, durchgeführt.

Im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Barmer Theologische Erklärung beschließt der Landeskirchentag 1936, dass der Heidelberger Katechismus das Bekenntnis der Kirche sei und ausreiche. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Heidelberger Katechismus dann auch als Bekenntnisschrift in der Kirchenverfassung erwähnt.

Aber im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nimmt die Bedeutung des Katechismus für das Gemeindeleben laufend ab. Nach und nach schaffen die Gemeinden die Nachmittagsgottesdienste ab und ersetzen sie durch Frühgottesdienste. In den meisten Gemeinden nimmt daraufhin die Zahl der Gemeindeglieder, die beide Gottesdienste besuchen, stark ab. Die Gemeindeglieder, die nur die Frühgottesdienste besuchen, möchten bald nicht nur Katechismuspredigten hören, so dass in vielen Gemeinden die Auslegung des Katechismus im Gottesdienst abgeschafft wird.

Auch im Kirchlichen Unterricht wird die Bedeutung des Katechismus geringer. Da in vielen Gruppen die biblischen Grundlagen für einen Unterricht mangelhaft sind, wird Bibelkunde anstelle des Katechismusunterrichts betrieben. Außerdem fällt den Heranwachsenden das Auswendiglernen immer schwerer, so dass der Umfang des Lernstoffs reduziert werden muss. Die Folge ist, dass in den Gemeinden im Unterricht neben den Hauptstücken nur noch wenige Fragen aus dem Katechismus behandelt und noch weniger auswendig gelernt werden, wobei der Unterschied der Menge des Stoffs von Gemeinde zu Gemeinde sehr beträchtlich sein kann. Das in der Grafschaft Bentheim eingeführte Konfirmationsformular enthält aber neben dem Glaubensbekenntnis die Fragen 1 und 54, so dass diese überall vorkommen.

Bezeichnend für das Schwinden des Einflusses des Heidelberger Katechismus sind die „Empfehlungen für das kirchliche Leben der evangelisch-reformierten Gemeinden des VI. Bezirks (Grafschaft Bentheim), die 1970 vom Bezirkskirchentag als Ersatz für die nun auch formell aufgehobene Bentheimer Kirchenordnung beschlossen wurden. Im Rückblick auf die Bentheimer Kirchenordnung wird festgestellt, dass der Heidelberger Katechismus Ausdruck des reformierten Bekenntnisses war. „In diesem Katechismus fand sie (sc. die Bentheimer Kirchenordnung) die Grundlage ihrer Unterweisung in Gottesdienst, Unterricht und Familie.“ Ferner wird daran erinnert, dass der zweite Gottesdienst am Sonntag von der Bentheimer Kirchenordnung als Katechismusgottesdienst festgelegt war.
Demgegenüber kommt der Katechismus selbst in den Empfehlungen nur noch am Rande vor. Der Katechismusgottesdienst wird als Möglichkeit erwähnt, in einer Reihe mit „Predigtgottesdienst, Katechismusgottesdienst, Lesegottesdienst, Kindergottesdienst, Jugendgottesdienst, Familiengottesdienst, Missionsgottesdienst, Evangelisation, Bibelwoche u. a.“. Im Abschnitt über die Unterweisung wird der Katechismus nicht erwähnt, wohl aber beim Abendmahl: „ die Verlesung entsprechender Fragen aus dem Heidelberger Katechismus (z.B. Frage 81)“ können neben anderem zur Vorbereitung des Abendmahls dienen.

Neu ist dagegen im 20. Jahrhundert in manchen Gemeinden eine liturgische Funktion des Katechismus. Aus dem Lesen der fünf Hauptstücke im Gottesdienst hatte sich im Lauf der Zeit die Übung herausgebildet, dass im Vormittagsgottesdienst die Zehn Gebote und im Nachmittagsgottesdienst das Apostolische Glaubensbekenntnis gelesen wurden. Mit der Verschiebung und Umgestaltung der Nachmittagsgottesdienste machte diese Regelung keinen Sinn mehr. So gingen mehrere Gemeinden dazu über, in den Gottesdiensten auch andere Fragen aus dem Heidelberger Katechismus zu lesen oder von der Gemeinde sprechen zu lassen. Parallel taucht die Frage 1 in der Liturgie der Beerdigungsgottesdienste auf.


Der Heidelberger Katechismus ist als Bekenntnisschrift der Evangelisch-reformierten Kirche auch in der Grafschaft Bentheim unangefochten, auch wenn er in der gültigen Verfassung unter dem Vorbehalt „weiterer schriftgemäßer Glaubenserkenntnis“ steht. Als Unterrichtsbuch ist er auch in den Grafschafter Gemeinden überholt. Bestimmte Fragen oder Formulierungen des Katechismus werden aber weiter im Kirchlichen Unterricht vorkommen. Gelegentliche Katechismuspredigten und vor allem der liturgische Gebrauch können den Katechismus in der Gottesdienstgemeinde lebendig erhalten.

 

Benutzte Literatur:

Kerkenordre der Graafschap Benthem, Utrecht 1709
(im Anhang: Haager Vergleich/Laudum regium)

Protokolle der Classis reformierter Prediger der Grafschaft Bentheim, ab 1702
Archiv des Synodalverbandes Grafschaft Bentheim

Akten zur Geschichte der Grafschaft Bentheim, Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück

Wessel Friedrich Visch: Geschiedenis van het Graafschap Bentheim, Zwolle 1820
Deutsche Ausgabe: Bentheim 1984

Die Kirchengesetze der evangelisch-reformierten Kirche der Provinz Hannover, bearbeitet von Ernst Giese, Aurich 1902

Hans Smend, Die Kirchenverfassung der Grafschaft Bentheim in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Borna-Leipzig 1908

Empfehlungen für das kirchliche Leben der evangelisch-reformierten Gemeinden des VI. Bezirks (Grafschaft Bentheim), Schüttorf 1970

P.L. de Jong, Die Bentheimer Kirche im 18. und 19. Jahrhundert, in: Reformiertes Bekenntnis in der Grafschaft Bentheim, S. 113 – 162, Bentheim 1988

Gerrit-Jan Beuker: Umkehr und Erneuerung. Aus der Geschichte der Evangelisch-altreformierten Kirche in Niedersachsen 1838 – 1988, Bentheim 1988

Heinrich Voort: Zwischen Kirche und Staat: Die Ausbildung der ev.-ref. Volksschullehrer in der Grafschaft Bentheim, in: Bentheimer Jahrbuch 2000, S. 167 – 182

Hans-Jürgen Schmidt: Der Katerberger Katechismus, in: Bentheimer Jahrbuch 2005, S. 199 - 222


>>> Die Einführung des Heidelberger Katechismus in der Grafschaft Bentheim