Heidelberger Katechismus Frage ...
Den Heidelberger (anders) hören
Dieser Text regt zum eigenen (Weiter-)Denken an!
Ein Veranstaltungsvorschlag

Den Heidelberger Katechismus vortragen lassen und einmal (anders) hören – in Auszügen oder ganz. In Abwechslung vielleicht mit solistischen Musikstücken.
Dialogisch. Szenisch. Kommunikativ. Ohne viele Erklärungen. Denn dieser Text regt zum eigenen Denken an, berührt existentielle Fragen, weckt Widerspruch oder Zustimmung, fordert heraus!

Programmvorschläge, weitere Infos und Kontakte zu Schauspieler/inne/n über Aleida Siller, E-Mail: info@reformierter-bund.de



Der Heidelberger Katechismus in Lippe

Von Werner Weinholt

Reformiert-Sein in Lippe - In den Spuren des Heidelberger Katechismus

Aus dem lippischen Lemgo ist ein im 19. Jahrhundert entstandenes Spottgedicht zum Heidelberger Katechismus überliefert:

„Wir wollen ihn nicht haben,
den Heidelberger Kohl!
An ihm soll der sich laben,
dem Schimmel schmecket wohl.
Solang das Licht im Innern,
Bewußtsein und Verstand,
Vernunft und Geist erinnern,
daß wir mit Gott verwandt.
Was einst war gute Speise
in altvergang’ner Zeit,
auf langer Erdenreise
verschimmelt ist es heut.
Vom angebor’nen Bösen
der Geist zu uns nicht spricht.
Zum Haß geschaff’ne Wesen,
gottlob! das sind wir nicht.“

Das Gedicht zeigt, dass es der Heidelberger Katechismus nicht leicht hatte in Lippe – nicht im 19. Jahrhundert und auch in der Zeit davor nicht und danach auch nicht.

1563 war er in der Kurpfalz eingeführt worden und erfuhr im deutschsprachigen Raum der Reformation rasche Verbreitung. In vielen Gegenden Deutschlands soll er bei dem sich allmählich begründenden Dorfschulwesen als Unterrichtsgrundlage gedient haben. Parallel entwickelte das lippische Fürstenhaus Neigungen zum reformierten Glauben, allerdings ging damit nicht die unmittelbare Einführung des Heidelberger Katechismus in Lippe einher. Mit dem Einsickern des reformierten Glaubens in die Grafschaft Lippe ließ sich vielmehr beobachten, dass ein anderer Katechismus in lippischen Gemeinden Einzug hielt: AngersKurzer und einfältiger Bericht“ von 1593. Dieser Anger-Katechismus stellte offenbar eine gekürzte Form des Heidelberger Katechismus dar. Er wurde in Lippe im Zusammenspiel mit Luthers Kleinem Katechismus verbreitet, der in den Gemeinden bis dahin gebräuchlich war. Ab 1603 haben die Superintendenten in Lippe den Gebrauch des Angerkatechismus aktiv gefördert. Dieser schien zeitgemäßer und didaktisch geeigneter als der Heidelberger Katechismus, weil er konfessionell moderater und kürzer war – dem einfältigen Bürger Lippes eingängiger. Graf Simon VI. zur Lippe wird den Anger-Katechismus noch aus einem anderen Grund dem Heidelberger Katechismus bevorzugt haben: er wollte nicht in den Ruf geraten, Calvinist zu sein und den Calvinismus in sein Land einführen zu wollen.

Allerdings löste der Heidelberger Katechismus den Anger-Katechismus nach 1618 schrittweise ab. In der Lippischen Kirchenordnung von 1684 wurde der Heidelberger Katechismus dann für Schule und Kirche verbindlich eingeführt und war fast 150 Jahre selbstverständlich im Gebrauch lippischer Gemeinden und Schulen.

Es war geistesgeschichtlich durchaus konsequent, dass der Heidelberger Katechismus im Laufe des 18. Jahrhunderts ins Gerede kam und man ihn im Schatten der Aufklärung rasch durch einen an der Vernunft und der Tugend orientierten Leitfaden zum Glauben und zum Religionsunterricht ersetzen wollte. Die Menschen setzten in jener Zeit ihre Hoffnungen auf die Tugendhaftigkeit der natura hominis und die Vervollkommnung der Welt durch Ausbreitung der Tugend. Der Rationalismus der Aufklärung hatte auch vor der lippischen Kirche nicht halt gemacht. Luthertum und Calvinismus wurden vom Geist des Zeitalters völlig überwältigt. Die Kirche wurde zur moralischen Anstalt. Der Tenor der Gedankenwelt jener Zeit, in der der Heidelberger Katechismus mit seiner redlichen Beschreibung der menschlichen Natur auf der Strecke bleiben musste, lautete: „Es ist der Wille deines Gottes, daß du in deinem Leben auf Erden wachsen sollst an Erkenntnis, um weise und gut zu werden, und dass du weise und gut werden sollst, um ewig glückselig zu sein. Dazu sollen die Glaubenslehren wirken.“

Bereits Ende des 18. Jahrhunderts kritisierte man offen den Heidelberger Katechismus. In der Tendenz war sich die große Zahl der Pfarrer einig: „Wir brauchen einen anderen Katechismus, worin nebst den Glaubenslehren auch die Pflichten der Moral und eines gottseligen Lebenswandels auf eine rechte Art vorgetragen werden.“ Der Heidelberger Katechismus sei längst außer Gebrauch gekommen und die lippischen Pfarrer würden auch bei ihrer Dienstverpflichtung nur noch auf die Augsburger Konfession als gemeinschaftliches Bekenntnis verpflichtet. Auch die Kritik in der Lehrerschaft war erheblich. Sie kämpfen gegen das alte Buch, das ihnen als Schul- und Unterrichtsbuch untauglich schien, als dass ein Kind es verstehen können sollte, und forderten ein neues Lehrbuch. Dem Geist dieser Zeit folgend legte bereits der Generalsuperintendent von Lippe, Ludwig F. A. von Cölln, 1794 einen noch in Katechismusform ausgearbeiteten Entwurf für eine Neugestaltung des „Christlichen Unterricht[s] nach der Lehre der Bibel für die Kinder auf dem Lande“ vor.

Endgültig zog aber der Geist des Rationalismus in den lippischen Schulen und Gemeinden durch den von Ferdinand Weerth 1811 eigeführten „Leitfaden für den Religionsunterricht in den Schulen“, der neben Glaubensinhalten vor allem moralische Belehrungen weitergab: Tugendhaft, ehrbar und rechtschaffen, nützlich für die Gesellschaft – so müsse das Leben eines Christenmenschen gestaltet sein. Der Heidelberger Katechismus wurde mit dem Prädikat behaftet, er passe nicht mehr recht in die Zeit, weil er zu orthodox, zu antiaufklärerisch und zu konfessionalistisch formuliert und ausgerichtet sei. Allerdings wurde diese Tendenz begleitet durch eine wachsende Strömung konservativer Kreise, die ihren Ursprung in pietistisch geprägten lippischen Pfarrern hatte. Aus diesem Kreis erwuchs neben der Ablehnung des Rationalismus auch ein starkes konfessionelles Bewusstsein, denn man sah in der Einführung des Leitfadens die konfessionellen Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten in Lippe sich zur Undeutlichkeit verschwimmen. Anfang der 1840er Jahre begannen schließlich einige lippische Pfarrer, die der Erweckungsbewegung nahestanden, sich gegen den Leitfaden und für die Wiedereinführung des Heidelberger Katechismus einzusetzen. Damit begann in Lippe eine lange dauernde Auseinandersetzung über das „Für und Wider“ des Heidelberger Katechismus, der in der deutschen kirchlichen Öffentlichkeit jener Zeit erhebliches Aufsehen erregte. Diese Auseinandersetzung ging als „Katechismusstreit“ in die Geschichte ein.

Konkret: Fünf lippische Pfarrer hatten sich verschiedene kritische Stimmen zu eigen gemacht, die um die Integrität des reformierten Bekenntnisses fürchteten und der Erweckungsbewegung nahe standen. Sie traten in Flugschriften und Zeitungsartikeln für die Beibehaltung bzw. die Wiedereinführung des Heidelberger Katechismus ein. Zunächst hatte das Konsistorium, bestärkt durch eine Umfrage von 1844, daran festgehalten, dass der Heidelberger Katechismus endgültig abzuschaffen sei. Man fühlte sich bestärkt durch eine Umfrage, die ergeben hatte, dass sich die überwiegende Zahl der Pfarrer gegen die Wiedereinführung des Heidelberger Katechismus´ positionierte. Zeitweise sollen die Pfarrer und Lehrer sich bei ihrer Amtseinführung sogar verpflichtet haben, ausschließlich den neuen Leitfaden zu benutzen. Umgekehrt wandten sich seit 1845 die Befürworter des Heidelberger Katechismus mit der Flugschrift „Die alte und die neue Lehre, oder: Wer lehret Gott recht?“ an die Öffentlichkeit und beklagten, dass der Leitfaden kein kirchliches Bekenntnis lehre. „Unruhe in Lippe!“ – so geisterte es durch verschiedene evangelische Kirchenzeitungen in den Jahren 1840-58 mit breiter öffentlicher Wirkung. Kennzeichnend für die Lage mag sein, dass der lippische Generalsuperintendent 1846 auf der Evangelischen Konferenz in Berlin dann direkt um einen umfänglichen Bericht zu den „Ereignissen in Lippe“ gebeten wurde und darüber informierte, der Heidelberger Katechismus sei zwar offiziell durch den neuen Leitfaden ersetzt worden, dass hieße aber nicht, dass er nicht weiterhin verwendet werden dürfe. Die damit erhoffte Beruhigung in Lippe blieb allerdings aus. Bei dem Streit ging es offenbar um dreierlei: Einmal darum, dass in Lippe der Tendenz der Kirchenleitung, sich dem theologischen Rationalismus anzuschließen, entgegengetreten wurde; und dann auch um die Frage, ob die konfessionellen Unterschiede zwischen dem lutherischen und dem reformierten Bekenntnis schon so weit verwässert wären, dass der Leitfaden auch diesem Umstand Rechnung trage; und schließlich ging es unterschwellig um die Frage, wer in Lippe über die Grundlagen christlichen Bekenntnisses entscheiden dürfe. Der Fürst – so die einhellige Meinung der sich widersetzenden Theologen – dürfe nicht (mehr) mit dem Anspruch auftreten, die Kirche in Bekenntnisfragen nach eigenem Gefallen zu regieren. Nach erbittertem Fortführen des Streits, langen Diskussionen und durch erheblichen Druck wurde 1858 schließlich der Heidelberger Katechismus wieder in seinen alten Rechten eingeführt. Der amtierende Generalsuperintendent Althaus hatte wegen dieser Frage sein Amt niedergelegt. Ein kundiger Mensch urteilte darüber folgendermaßen: „Das `Fähnlein der fünf Aufrechten´ und seine inzwischen stark angewachsene Anhängerschaft hatte gesiegt.“

Danach wurde es ruhig um den Heidelberger Katechismus. Im Laufe der Zeit wird er zwar weiter in Gebrauch gewesen sein. Allerdings wird er als Bekenntnis weder besonders hervorgehoben noch ernsthaft in seiner Akzeptanz bedroht gewesen sein.

Es wird dann auch kein Zufall gewesen sein, dass in den Jahren des Kirchenkampfes nach 1933 die offizielle Wiedereinführung des ungekürzten Katechismus von der Synode der Lippischen Landeskirche unterstrichen wurde. In Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen und einem Staat, der versucht hatte, die Kirche gleichzuschalten, erhielt ein klarer Bekenntnisgrund existentielle Bedeutung für die Kirche. Diesen Bekenntnisgrund stellte der Heidelberger Katechismus neben der Barmer Theologischen Erklärung für reformierte Christinnen und Christen in Lippe dar. Seither findet der Heidelberger Katechismus im kirchlichen Unterricht, in der Seelsorge und auch im Gottesdienst vor allem im reformierten Bereich der Lippischen Landeskirche ungestörte Anwendung.

Der Heidelberger Katechismus hat bis heute in Lippe Elemente reformierter Tradition fortgesetzt und im Bewusstsein der Gemeinden gehalten. Und dennoch ist auch in Lippe der Glaube vergewissert, dass das nicht alles ist, aber eben doch eine wichtige Spur im konfessionellen Weg des Glaubens und im konfessionellen Weg der eigenen Kirche. „Wir sind Erben einer großen Geschichte“, heißt es in einem die Lippische Landeskirche verbindenden und verbindlichen Text – in Wege und Horizonte. Und weiter: „In vielen Jahrhunderten gab es in unserer Kirche die Gewissheit des Glaubens, die Zuversicht des Hoffens, die Kraft der Liebe. Und es gab Schuld und Versagen, Engstirnigkeit, Kleinmut, Zank … Wir sind Kinder einer großen Verheißung. Gottes Wort ist lebendig. Gottes Heiliger Geist sammelt Menschen. Die Zukunft steht in Gottes Hand. … Wachsen auf Christus hin“. Das stand und steht schon immer als Aufgabe über den reformierten Gemeinden. Ein lippischer Dichter (Adolpf Christoph von Mengersen) hat vor Jahrhunderten geschrieben:

„Wallfahrt will ich nicht laufen,
Ablass will ich nicht kaufen,
glaube nicht an Dr. Luther,
auch nicht an Gottes Mutter.
Bin auch kein Calvinist,
sondern leb und sterb auf Jesus Christ.“

Das sind keine großen poetischen Worte, aber es ist ein lippisches Glaubensbekenntnis, in dem die Mitte und das Ziel recht bestimmt sind. In den Spuren des Heidelberger Katechismus.

 

Literatur zur Vertiefung:
Freudenberg, Matthias, u.a., Reformierte Katechismen aus drei Jahrhunderten. Anger - Lampe – Weerth, 2005.

Haase, Bartold, Rickling, Matthias, Wilke, Axel: reformieren-streiten-bekennen. 400 Jahre Bekenntnis in Lippe, Detmold 2005.

Neuser, Wilhelm H., Die Einführung des Heidelberger Katechismus in Lippe im Jahre 1602 und der Kampf um seine Beibehaltung im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte, Bd. 74, Bielefeld 1981, 57-78.

Smidt, Udo, Herrenbrück, Walter: Warum wirst du ein Christ genannt?. Vorträge und Aufsätze zum Heidelberger Katechismus im Jubiläumsjahr 1563, Neukirchen 1965.

Wehrmann, Volker (Hg.), Die Lippische Landeskirche 1684-1984. Ihre Geschichte in Darstellung, Bildern und Dokumenten, Detmold 1984.