Heidelberger Katechismus Frage ...
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1. Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

2. Was musst du wissen, damit du in diesem Trost selig leben und sterben kannst?

3. Woher erkennst du dein Elend?

4. Was fordert denn Gottes Gesetz von uns?

5. Kannst du das alles vollkommen halten?

6. Hat denn Gott den Menschen so böse und verkehrt erschaffen?

7. Woher kommt denn diese böse und verkehrte Art des Menschen?

8. Sind wir aber so böse und verkehrt, dass wir ganz und gar unfähig sind zu irgendeinem Guten und geneigt zu allem Bösen?

9. Tut denn Gott dem Menschen nicht Unrecht, wenn er in seinem Gesetz etwas fordert, was der Mensch nicht tun kann?

10. Will Gott diesen Ungehorsam ungestraft lassen?

11. Ist denn Gott nicht auch barmherzig?

12. Wenn wir also nach dem gerechten Urteil Gottes schon jetzt und ewig Strafe verdient haben, wie können wir dieser Strafe entgehen und wieder Gottes Gnade erlangen?

13. Können wir aber selbst für unsere Schuld bezahlen?

14. Kann aber irgendein Geschöpf für uns bezahlen?

15. Was für einen Mittler und Erlöser müssen wir denn suchen?

16. Warum muss er ein wahrer und gerechter Mensch sein?

17. Warum muss er zugleich wahrer Gott sein?

18. Wer ist denn dieser Mittler, der zugleich wahrer Gott und ein wahrer, gerechter Mensch ist?

19. Woher weißt du das?

20. Werden denn alle Menschen wieder durch Christus gerettet, so wie sie durch Adam verloren gegangen sind?

21. Was ist wahrer Glaube?

22. Was ist für einen Christen notwendig zu glauben?

23. Wie lautet dieses Glaubensbekenntnis?

24. Wie wird das Glaubensbekenntnis eingeteilt?

25. Warum nennst du denn drei: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, wo doch Gott nur einer ist?

26. Was glaubst du, wenn du sprichst: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde“?

27. Was verstehst du unter der Vorsehung Gottes?

28. Was nützt uns die Erkenntnis der Schöpfung und Vorsehung Gottes?

29. Warum wird der Sohn Gottes Jesus, das heißt „Heiland“ genannt?

30. Glauben denn auch die an den einzigen Heiland Jesus, die Heil und Seligkeit bei den Heiligen, bei sich selbst oder anderswo suchen?

31. Warum wird er Christus, das heißt „Gesalbter“ genannt?

32. Warum wirst aber du ein Christ genannt?

33. Warum heißt Jesus Christus „Gottes eingeborener Sohn“, da doch auch wir Kinder Gottes sind?

34. Warum nennst du ihn „unseren Herrn“?

35. Was bedeutet: „Empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“?

36. Was nützt es dir, dass er durch den heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau Maria geboren ist?

37. Was verstehst du unter dem Wort „gelitten“?

38. Warum hat er unter dem Richter Pontius Pilatus gelitten?

39. Bedeutet sein Tod am Kreuz mehr, als wenn er eines anderen Todes gestorben wäre?

40. Warum hat Christus den Tod erleiden müssen?

41. Warum ist er begraben worden?

42. Warum müssen wir noch sterben, obwohl Christus für uns gestorben ist?

43. Welchen weiteren Nutzen haben wir aus Opfer und Tod Christi am Kreuz?

44. Warum folgt „abgestiegen zu der Hölle“?

45. Was nützt uns die Auferstehung Christi?

46. Wie verstehst du, dass es heißt „aufgefahren in den Himmel“?

47. Ist denn Christus nicht bei uns bis ans Ende der Welt, wie er uns verheißen hat?

48. Werden aber auf diese Weise nicht Gottheit und Menschheit in Christus voneinander getrennt, wenn er nach seiner menschlichen Natur nicht überall ist, wo er nach seiner Gottheit ist?

49. Was nützt uns die Himmelfahrt Christi?

50. Warum wird hinzugefügt „er sitzt zur Rechten Gottes“?

51. Was nützt uns diese Herrlichkeit unseres Hauptes Christus?

52. Was tröstet dich die Wiederkunft Christi, „zu richten die Lebenden und die Toten“?

53. Was glaubst du vom heiligen Geist?

54. Was glaubst du von der „heiligen allgemeinen christlichen Kirche“?

55. Was verstehst du unter der „Gemeinschaft der Heiligen“?

56. Was glaubst du von der „Vergebung der Sünden“?

57. Was tröstet dich die „Auferstehung der Toten“?

58. Was tröstet dich die Verheißung des ewigen Lebens?

59. Was hilft es dir aber nun, wenn du das alles glaubst?

60. Wie bist du gerecht vor Gott?

61. Warum sagst du, dass du allein durch den Glauben gerecht bist?

62. Warum können denn unsere guten Werke uns nicht ganz oder teilweise vor Gott gerecht machen?

63. Verdienen aber unsere guten Werke nichts, obwohl Gott sie doch in diesem und dem zukünftigen Leben belohnen will?

64. Macht aber diese Lehre die Menschen nicht leichtfertig und gewissenlos?

65. Wenn nun allein der Glaube uns Anteil an Christus und allen seinen Wohltaten gibt, woher kommt solcher Glaube?

66. Was sind Sakramente?

67. Sollen denn beide, Wort und Sakrament, unseren Glauben auf das Opfer Jesu Christi am Kreuz als den einzigen Grund unserer Seligkeit hinweisen?

68. Wieviel Sakramente hat Christus im Neuen Testament eingesetzt?

69. Wie wirst du in der heiligen Taufe erinnert und gewiss gemacht, dass das einmalige Opfer Christi am Kreuz dir zugut kommt?

70. Was heißt, mit dem Blut und Geist Christi gewaschen sein?

71. Wo hat Christus verheißen, dass wir so gewiss mit seinem Blut und Geist wie mit dem Taufwasser gewaschen sind?

72. Ist denn das äußerliche Wasserbad selbst die Abwaschung der Sünden?

73. Warum nennt denn der Heilige Geist die Taufe das „Bad der Wiedergeburt“ und die „Abwaschung der Sünden“?

74. Soll man auch die kleinen Kinder taufen?

75. Wie wirst du im heiligen Abendmahl erinnert und gewiss gemacht, dass du an dem einzigen Opfer Christi am Kreuz und allen seinen Gaben Anteil hast?

76. Was heißt, den gekreuzigten Leib Christi essen und sein vergossenes Blut trinken?

77. Wo hat Christus verheißen, dass er die Gläubigen so gewiss mit seinem Leib und Blut speist und tränkt, wie sie von diesem gebrochenen Brot essen und von diesem Kelch trinken?

78. Werden denn Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt?

79. Warum nennt denn Christus das Brot seinen Leib und den Kelch sein Blut oder nennt den Kelch den neuen Bund in seinem Blut, und warum spricht Paulus von der Gemeinschaft des Leibes und Blutes Jesu Christi?

80. Was ist für ein Unterschied zwischen dem Abendmahl des Herrn und der päpstlichen Messe?

81. Welche Menschen sollen zum Tisch des Herrn kommen?

82. Dürfen aber zum heiligen Abendmahl auch solche zugelassen werden, die sich in ihrem Bekenntnis und Leben als Ungläubige und Gottlose erweisen?

83. Was ist das Amt der Schlüssel?

84. Wie wird das Himmelreich durch die Predigt des heiligen Evangeliums auf- und zugeschlossen?

85. Wie wird das Himmelreich durch die christliche Bußzucht zu- und aufgeschlossen?

86. Da wir nun aus unserm Elend ganz ohne unser Verdienst aus Gnade durch Christus erlöst sind, warum sollen wir gute Werke tun?

87. Können denn auch die selig werden, die sich von ihrem undankbaren, unbußfertigen Leben nicht zu Gott bekehren?

88. Worin besteht die wahrhaftige Buße oder Bekehrung des Menschen?

89. Was heißt Absterben des alten Menschen?

90. Was heißt Auferstehen des neuen Menschen?

91. Was sind denn gute Werke?

92. Wie lautet das Gesetz des HERRN?

93. Wie werden diese Gebote eingeteilt?

94. Was fordert der Herr im ersten Gebot?

95. Was ist Götzendienst?

96. Was will Gott im zweiten Gebot?

97. Darf man denn gar kein Bild machen?

98. Dürfen denn nicht die Bilder als „der Laien Bücher“ in den Kirchen geduldet werden?

99. Was will Gott im dritten Gebot?

100. Ist es denn eine so schwere Sünde, Gottes Namen mit Schwören und Fluchen zu lästern, dass Gott auch über die zürnt, die nicht alles tun, um es zu verhindern?

101. Darf man aber überhaupt bei dem Namen Gottes einen Eid schwören?

102. Darf man auch bei den Heiligen oder anderen Geschöpfen schwören?

103. Was will Gott im vierten Gebot?

104. Was will Gott im fünften Gebot?

105. Was will Gott im sechsten Gebot?

106. Redet denn dieses Gebot nur vom Töten?

107. Haben wir das Gebot schon erfüllt, wenn wir unseren Nächsten nicht töten?

108. Was will Gott im siebenten Gebot?

109. Verbietet Gott in diesem Gebot allein den Ehebruch?

110. Was verbietet Gott im achten Gebot?

111. Was gebietet dir aber Gott in diesem Gebot?

112. Was will Gott im neunten Gebot?

113. Was will Gott im zehnten Gebot?

114. Können aber die zu Gott Bekehrten diese Gebote vollkommen halten?

115. Warum lässt uns Gott denn die zehn Gebote so eindringlich predigen, wenn sie doch in diesem Leben niemand halten kann?

116. Warum ist den Christen das Gebet nötig?

117. Was gehört zu einem Gebet, damit es Gott gefällt und von ihm erhört wird?

118. Was hat uns Gott befohlen, von ihm zu erbitten?

119. Wie lautet dieses Gebet

120. Warum hat uns Christus befohlen, Gott so anzureden: „Unser Vater“?

121. Warum wird hinzugefügt: „im Himmel“?

122. Was bedeutet die erste Bitte: „Geheiligt werde dein Name“?

123. Was bedeutet die zweite Bitte: „Dein Reich komme“?

124. Was bedeutet die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“?

125. Was bedeutet die vierte Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“?

126. Was bedeutet die fünfte Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“?

127. Was bedeutet die sechste Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“?

128. Wie beschließt du dieses Gebet: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“?

129. Was bedeutet das Wort: „Amen“?

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Frage 55

Predigt von Pfarrer Holger Pyka, Köln

"Was verstehst du unter der ‘Gemeinschaft der Heiligen’?"

Erstens:
Alle Glaubenden haben als Glieder
Gemeinschaft an dem Herrn Christus
und an allen seinen Schätzen und Gaben.

Zweitens:
Darum soll auch jeder seine Gaben
willig und mit Freuden
zum Wohl und Heil der anderen
gebrauchen.
 

Die unter dem Wort 
versammelte Gemeinde 
und der Blinddarm.

Liebe Gemeinde,
vor fünf Jahren gab es eine medizinische Erkenntnis, die für mich eine kleine Sensation darstellte, weil sie quer steht zu allem, was ich in der Schule und sonstwo gehört hatte: Amerikanische Forscher haben die Funktion des Blinddarms entdeckt, genauer gesagt des daran hängenden Wurmfortsatzes. Dieses kleine Anhängsels, der sich gerne entzündet und dann ohne Komplikationen mit einem winzigen Bikinischnitt entfernt wird, der manchmal bei Routineeingriffen schon mit abgeschnitten wird, um einer späteren Appendizitis vorzubeugen. Dieser kleine Wurmfortsatz dient als Notreservoire für die guten Bakterien einer gesunden Darmflora und kommt dann zum Einsatz, wenn etwa durch eine Durchfallerkrankung diese wichtigen Bakterienstämme fehlen, die eine wichtige Rolle für das Immunsystem spielen. Gegen allen äußeren Schein hat also der Wurmfortsatz mit seinen zehn Zentimetern eine Bedeutung für die Vitalfunktionen des Körpers.
Ein einzelner Teil, nach außen hin fragwürdig, vielleicht unappetitlich, aber mit einer Bedeutung für den Gesamtorganismus – damit sind die Stichworte geliefert, die auch Paulus bewegt haben mögen, als er in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts irgendwo im römischen Reich saß und in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth bei dem Abschnitt angekommen war, der das heutige zwölfte Kapitel darstellt. Hören wir zunächst, was Paulus schreibt:

(Predigttext in dialogischer Lesung)
Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl es viele sind, einen Leib bilden, so auch Christus.
13Denn durch einen Geist wurden wir ja alle in einen Leib hineingetauft, ob Juden oder Griechen, ob Sklaven oder Freie; und alle wurden wir getränkt mit einem Geist.
14Und der Leib besteht ja nicht aus einem Glied, sondern aus vielen.
15Wenn der Fuss sagt: Weil ich nicht Hand bin, gehöre ich nicht zum Leib, gehört er nicht dennoch zum Leib?
16Und wenn das Ohr sagt: Weil ich nicht Auge bin, gehöre ich nicht zum Leib, gehört es nicht dennoch zum Leib?
17Ist der ganze Leib Auge, wo bleibt das Gehör? Ist er aber ganz Gehör, wo bleibt dann der Geruchssinn?
18Nun aber hat Gott alle Glieder an ihre Stelle gesetzt, ein jedes von ihnen an die Stelle des Leibes, an der er es haben wollte.
19Wäre aber alles ein Glied, wo bliebe der Leib?
20Nun aber gibt es viele Glieder, aber nur einen Leib.
21Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht, auch nicht der Kopf zu den Füssen: Ich brauche euch nicht.
22Vielmehr sind eben jene Glieder des Leibes, die als besonders schwach gelten, umso wichtiger,
23und eben jenen, die wir für weniger ehrenwert halten, erweisen wir besondere Ehrerbietung; so geniesst das Unansehnliche an uns grosses Ansehen,
24das Ansehnliche an uns aber hat das nicht nötig. Gott jedoch hat unseren Leib so zusammengefügt, dass er dem, was benachteiligt ist, besondere Ehre zukommen liess,
25damit es im Leib nicht zu einem Zwiespalt komme, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander besorgt seien.
26Leidet nun ein Glied, so leiden alle Glieder mit, und wird ein Glied gewürdigt, so freuen sich alle Glieder mit.
27Ihr seid der Leib des Christus, als einzelne aber Glieder.
28Und als solche hat euch Gott in der Gemeinde zum einen als Apostel eingesetzt, zum andern als Propheten, zum dritten als Lehrer. Dann kommen die Wunderkräfte, die Heilungsgaben, die Hilfeleistungen, die Leitungsaufgaben, verschiedene Arten von Zungenrede.
29Sind etwa alle Apostel? Sind etwa alle Propheten? Sind etwa alle Lehrer? Haben etwa alle Wunderkräfte?
30Haben etwa alle die Gabe zu heilen? Reden etwa alle in Zungen? Können etwa alle übersetzen?

Liebe Gemeinde, der Leib Christi hat Hand und Fuß. In jedem erdenklichen Sinne, aber eben auch ganz konkret: Hände und Füße, auch Augen und Ohren, gesamtbiblisch betrachtet äußerst wichtige Körperteile. Der Leib Christi ist funktionstüchtig, wenn die Glieder untereinander kommunizieren, wenn die Augen sehen, was wo nötig ist und die Füße den Weg dorthin finden, wenn die Ohren hören, was geboten ist und die Hände genau das tun. Das Bild, das Paulus hier malt, in das er die Gemeinde in Korinth, in das er uns alle einzeichnet, ist kein neues und in der Antike wohlbekannt, allerdings mit einer deutlich anderen Pointe: Menenius Agrippa erzählt in der Frühzeit der römischen Republik bei einem Aufstand des Plebs gegen die Patrizier seine berühmte Fabel, in der die Glieder des Körpers gegen den Magen rebellieren, der nur faul rumhängt, nichts leistet und doch alle Nahrung bekommt. Und so tun sich die Glieder des Körpers gegen den Magen zusammen, die Hände fassen nichts Essbares mehr an, der Mund bleibt zu, die Zähne kauen nicht mehr, der Hals stellt das Schlucken ein. Doch mit der Zeit geht dem ganzen Körper die Kraft aus, und, so der Schluss der Fabel, wie sie bei Titus Livius überliefert ist: schnell leuchtete den Gliedern ein, dass der Mensch die Kräfte, durch die er lebt und gedeiht, durch die stille Arbeit des Magens erhält, und sie beeilten sich, mit dem Quell ihrer Körperkraft sich wieder auszusöhnen.

Fabeln wie diese gibt es bis heute, eine ganze Wirtschaftsordnung lässt sich damit begründen, man nennt das dann Trickle-Down-Economy oder etwas weniger vornehm Pferdeäpfel-Wirtschaft. Das besagt nichts anderes als, mit einem anderen, allerdings pervertierten biblischen Bild gesprochen: Wenn man den Reichen nur immer mehr zu Essen auf den Tisch stellt, dann werden früher oder später auch einige Brotkrumen für die Armen runterfallen.

All das beinhaltet eine mehr oder weniger versteckte Hierarchie der Glieder am Leib, eine Abstufung in Wert und Wichtigkeit der einzelnen Dienste. Genau dafür lässt sich Paulus nicht einspannen, genau dagegen setzt er sein Bild vom Leib Christi, wenn man sich die Situation in der urchristlichen Gemeinde in Korinth vor Augen führt, zumindest insoweit wir sie rekonstruieren können: Eine pulsierende, bunte Hafenstadt, eine ebenso bunt gemischte Gemeinde, die wächst und gedeiht, in der Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen kommen – und das schafft Probleme: Die Milieus prallen aufeinander, die theologischen Schulen reiben sich aneinander, und einige charismatische Alphatiere machen beeindruckende religiöse Erfahrungen und erheben Führungs- oder Normansprüche. Derartiges Kompetenzgerangel ist auch in unseren Gemeinden, in unserer Kirche nichts Unbekanntes:
Da wollen in den Presbyterien die einzelnen Mitglieder ihre eigenen Projekte besonders fördern. Da erlebt die eine Gemeinde mit dem stärker evangelikal geprägten Profil einen Aufschwung mit überdurchschnittlich gut besuchten Gottesdiensten und hält sich insgeheim für so ein bisschen christlicher als die Nachbargemeinde, die im sozialen Brennpunkt das missionarische Profil ihrer stark sozial-diakonischen Arbeit eher tiefer hängt. Da runzeln die regelmäßigen Kirchgänger die Stirn über die „Karteileichenchristen“ im Heiligabendgottesdienst und oder verstehen die Geldspende der selten gesehenen Tauffamilie als den Versuch, sich freizukaufen. Da wird in der Leuchtfeuerdebatte die Abstufung zwischen den gemeindlichen Diensten für die „Kirche von morgen“ theologisch geadelt.
Paulus lässt sich mit seinem Bild vom Leib Christi dafür nicht so ohne weiteres vereinnahmen, und so schnarrend und schneidend seine Stimme in mancher Prioritätendiskussion klingen mag, so wohltuend sind seine Worte womöglich für diejenigen, die sich selbst und ihren Beitrag für die Gemeinschaft von Christinnen und Christen für zu gering, zu banal und zu alltäglich halten:
Paulus schreibt: Ihr seid der Leib des Christus, als Einzelne Glieder daran, ganz kurz, ganz knapp, ganz im Indikativ: Ihr seid schon längst ein wertvoller und unverzichtbarer Bestandteil des großen Ganzen, Ihr müsst Euch nicht mühsam einfügen oder bewähren. Nach dem Heidelberger Katechismus, dessen Fragen und Antworten zur Kirche ja eine Auslegung unter anderem dieses Bibeltextes ist, ist das das Allererste, was zur Gemeinschaft der Heiligen zu sagen ist: Dass auch ich ein Glied dieser Gemeinde bin und ewig bleiben werde, und dass alle Glaubenden als Glieder Gemeinschaft an dem Herrn Christus und an allen seinen Schätzen und Gaben haben.
Der Leib Christi hat Hand und Fuß, er hat Augen und Ohren, und er wird auch einen Blinddarm haben und eine ganze Reihe von Organen und Körperteilen, die uns unansehnlich, unehrenhaft und benachteiligt, banal und vielleicht nutzlos erscheinen, die aber für das Ganze unverzichtbar und von großem Wert sind.
Nun ist das Bild vom Leib Christi damit noch nicht ausgereizt, auch die Antwort zur Frage 55 des Heidelberger hat noch einen zweiten Teil, auf den Indikativ folgt buchstäblich der Imperativ: Darum soll auch jeder seine Gaben willig und mit Freuden zum Wohl und Heil der anderen gebrauchen.
Vielleicht reizt dieser Aspekt außerhalb des engen Horizontes binnenkirchlicher Prioritätendiskussion am ehesten zum Widerspruch oder zumindest zu einem irritierten Stirnrunzeln: Denn hier wird deutlich, dass aus biblischer Sicht das „Ich und mein Gott“ nicht das einzige Verhältnis ist, das religiös zu klären ist, dass Glauben zwar eine in hohem Maße persönliche, aber nie eine private Angelegenheit ist. Wer getauft ist, der hat Anteil an einem Kommunikations- und Lebenszusammenhang, der über das eigene Seelenheil, den eigenen Horizont, die eigenen vier Wände und die eigenen Sozialkontakte hinausgeht, der ist eingegliedert in einen lebendigen Organismus, in dem, und hier formuliert Paulus ja bezeichnender Weise nicht indikativisch, die Glieder in gleicher Weise füreinander besorgt seien – offensichtlich war das auch in Korinth schon ein Thema.

Bevor wir hier kirchlicherseits zu schnell in ein einseitiges Lamentieren über die Privatisierung der Gesellschaft und religiösen Subjektivismus oder gar in einen antimodernistischen Beißreflex verfallen, ist vielleicht die kritische und sehr konkrete Nachfrage angebracht, wo wir in unseren Gemeinden unseren Gemeindegliedern die Möglichkeit bieten, ihre Gaben zu entdecken, zu entwickeln und einzusetzen. Etwas pessimistisch gesagt: Wer sich in der evangelischen Kirche engagieren will, kann sich entweder im Rahmen der eigenen zeitlichen Möglichkeiten und Frustrationstoleranz durch unsere Gremien reichen oder, in wenigen Fällen, zur Prädikantin ordinieren lassen. Oder dann eben für das Gemeindefest Kuchen backen oder Biertische schleppen. Neben der exemplarischen Auflistung von Gaben, die Paulus liefert, nimmt sich das äußerst mager aus, und es entspricht bei weitem nicht der Vielfalt von Schätzen und Gaben, die in unseren Gemeinden de facto vorhanden sind und darauf warten, gehoben zu werden. Das kann vielleicht sogar so etwas aus unserer Sicht Exotisches wie die Zungenrede sein, das wird auf jeden Fall die Fähigkeit und die Berufung sein, zu übersetzen, also das Evangelium verständlich in den je eigenen Lebenskontexten weiterzusagen – Ernst Lange hat damals vom „Gottesdienst im Alltag“ gesprochen. Das kann auch die Fürsorge für Alte und Kranke sein, eine Zuwendung, die auf irgendeine Weise heilend wirkt. Wir machen es dem Heiligen Geist unnötig schwer, wenn wir all diese Aufgaben auf die Pfarrerinnen und Pfarrer konzentrieren, wenn wir, um das Bild des Paulus weiterzuspinnen, vom Knie verlangen, es soll auch ganz Ohr sein, wenn die Leber genau hinsehen und der kleine Finger den Blutkreislauf in Schwung halten soll. Wir bringen die Welt um ein ganzes Stück Bewegung, wenn wir den Leib Christi in ein Korsett oder eine Uniform zwängen wollen. Wenn wir die Barmer Erklärung dahingehend ernst nehmen, dass auch unsere Ordnungen Zeugnischarakter haben, dann fahren wir uns doch manches Mal beim Predigen selbst über den Mund, wenn unsere kirchlichen Strukturen den Menschen verkünden, dass eben doch von oben nach unten bestimmt wird, dass es Akteure und Zuschauer gibt, dass der Stärkere gewinnt und man immer auch auf die Finanzierung gucken muss.

Liebe Gemeinde, der Leib Christi ist schon Realität, er hat Hand und Fuß und einiges mehr, wir brauchen ihn nicht zusammen zu setzen – Gott sei Dank! Aber ich wünsche uns ein bisschen mehr Achtung bei der Körperpflege und mehr Neugier beim Erforschen dieses spannenden Organismus. Vielleicht entdecken wir Unerwartetes – so wie die Funktion des Blinddarms, genauer gesagt, des Wurmfortsatzes, der eine Notration an guten Stoffen und Substanzen für den Ernstfall bereit hält, mit denen sich das Immunsystem neu aufbauen lässt. Mir fällt bei diesem Bild Frau K. aus meiner Gemeinde ein. Sie gehört zu den „Stillen im Lande“, 82 Jahre, Russlanddeutsche aus Kasachstan. Knackefromm, hoffnungslos altmodisch, als Witwe ziemlich nah an der Grenze zur Altersarmut, schlecht angezogen, treue Kirchgängerin, solange bloß die Orgel spielt – und als solche niemand, die in kirchlichen Strategiepapieren eine Rolle spielt, außer vielleicht als wenig spektakuläre Zielperson diakonischer Zuwendungen. Sie ist wie ein Anhängsel, irgendwie immer dabei, aber wer weiß, wofür sie wirklich gut ist. Sie ist zu alt fürs Presbyterium, ihr holpriges Plattdeutsch macht sie auch nicht zur geborenen Übersetzerin, und ihre russischen Kuchen, die vor allem aus Eiern, Zucker und Fett bestehen, werden auf dem Gemeindefest nicht angerührt. Aber ich weiß von ihr, dass sie pro Tag mindestens eine Stunde, so, wie sie es in Russland gelernt hat, mit Kopftuch in ihrem Wohnzimmer kniet und für die Gemeinde, für uns Pastoren und für all die Menschen, die ihr zu Ohren kommen und zu Herzen gehen, betet. Jeden Tag. Und sie ist nicht die Einzige. Ich weiß nicht, wie es bei uns aussehen würde, wenn diese vielstimmige und beharrliche Fürbitte für uns alle plötzlich aufhören würde, ich mag es mir auch gar nicht vorstellen. Aber ich glaube, dass sie und andere so etwas wie den Blinddarm des Leibes Christi ausmachen: Unspektakulär, traditionell unterschätzt, vielleicht gar nicht so wichtig, wenn alles gut läuft und der Körper in Saft und Kraft steht. Aber wenn die Hände schlaff werden und die Knie einknicken, wenn der Darm wüst und leer und der ganze Organismus schwach wird, dann gibt es dort eine Kraftreserve, dann gibt es dort eine Notration an Stoffen, die der Körper braucht, um gesund zu werden.
So sind eben jene Glieder des Leibes, die als besonders schwach gelten, umso wichtiger,
und eben jenen, die wir für weniger ehrenwert halten, erweisen wir besondere Ehrerbietung; so geniesst das Unansehnliche an uns grosses Ansehen, das Ansehnliche an uns aber hat das nicht nötig. Gott jedoch hat unseren Leib so zusammengefügt, dass er dem, was benachteiligt ist, besondere Ehre zukommen liess, damit es im Leib nicht zu einem Zwiespalt komme, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander besorgt seien.
Amen.
 

Predigt gehalten am 23. 6. 2012 im Abendmahlsgottesdienst im ThZW Wuppertal.