Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1902-1966)
Durch seine Familie kam Weber sowohl mit dem rheinischen Reformiertentum als auch mit Freien evangelischen Gemeinden in Kontakt. Von großer Bedeutung war die Prägung durch die Schülerbibelkreise, in denen er aktiv mitarbeitete. Von hier aus ist möglicherweise sein Entschluß zum Theologiestudium zu verstehen. Während der Studienjahre in Bonn und Tübingen (1921-25) orientierte sich W. hauptsächlich an Adolf Schlatter und seiner Theologie, aber auch von Karl Barth empfing er wichtige Impulse. Kirchliche Lebenswirklichkeit lernte er während seines Vikariats in Herchen an der Sieg (1925-27) kennen, wo er auch als Lehrer an der Realschule arbeitete.
Nach dem Zweiten Theologischen Examen wurde er vom Reformierten Bund als Dozent an die Theologische Schule Elberfeld berufen, zu deren Erfolg er, später als Direktor, maßgeblich beitrug (1928-33). In dieser Zeit befestigte er die lebenslange Freundschaft mit dem rheinischen Pfarrer Wilhelm August Langenohl. Durch seine Lehrtätigkeit und durch erste theologische Veröffentlichungen wurde das reformierte Profil von Webers Denken mehr und mehr wahrnehmbar.
Die politischen und kirchenpolitischen Veränderungen des Jahres 1933 stellten auch für W. einen folgenschweren Einschnitt dar. Im Mai wurde er sowohl bei der NSDAP wie auch bei den NS-treuen »Deutschen Christen« Mitglied; hierfür gab er vor allem eine volksmissionarische Motivation an. Reichsbischof Ludwig Müller berief Weber im September als reformierten Vertreter in das Geistliche Ministerium nach Berlin, wo dieser an der Umsetzung der deutsch-christlichen Gleichschaltungspolitik beteiligt war.
Gleichzeitig unternahm er mehrere Versuche, den innerkirchlichen Streit zu befrieden, stand aber dem eigentlichen Anliegen der entstehenden Bekennenden Kirche fern. Nach der Berliner Sportpalastkundgebung im November trat er aus der deutsch-christlichen Bewegung aus, weil er sich mit den dort deutlich gewordenen Zielen nicht mehr identifizieren konnte. Im Dezember trat er als Geistlicher Minister zurück, arbeitete aber als kommissarischer Vertreter des reformierten Bekenntnisses bis Ende 1934 weiter mit.
Zum Sommersemester 1934 wurde Weber zum Professor für Reformierte Theologie an der Universität Göttingen ernannt. Kurz danach veröffentlichte er mit der zweibändigen »Bibelkunde des Alten Testaments« sein erstes größeres Lehrbuch. Darin erkannte er das AT als Teil des christlichen Kanons an, benutzte aber vielfach antisemitische Stereotypen. Einerseits waren seine eigenen Überzeugungen hier wie in anderen Punkten durch die nationalsozialistische Ideologie bestimmt. Andererseits erkannten auch seine kirchenpolitischen Gegner durchaus Webers »Orthodoxie« in Lehre und Forschung an.
Vor allem zu Calvin, dessen Hauptwerk »Institutio Christianae Religionis« er übersetzte (1936-38), publizierte Weber In reduziertem Maße betätigt er sich weiter kirchenpolitisch, vor allem als theologischer Experte des Reformierten Arbeitsausschusses (RAA), der der Reformierten Landeskirche Hannovers nahestand. 1936 wurde er Obmann des Nationalsozialistischen Dozenten-Bundes (NSDB) in der Göttingen theologischen Fakultät. Erst im Sommer 1938 promovierte er, und zwar bei Emanuel Hirsch, dessen Nachfolger als Dekan er im folgenden Frühjahr wurde.
Während der Jahre 1940 bis 1945 war W. als assoziiertes Mitglied Vertreter der Reformierten im Geistlichen Vertrauensrat. In diesem Rahmen beteiligte er sich an einem Brief an Bischof Wurm, in dem der GVR die Ausstoßung »nichtarischer« Christen und Christinnen aus der Deutschen Evangelischen Kirche theologisch rechtfertigte - hier hatte Weber den Rahmen des christlichen Bekenntnisses verlassen. Im Deutschen Reformierten Kirchenausschuß, dem Nachfolgeorgan des RAA, setzte sich Weber für die Wahrung reformierter »Belange« ein, näherte sich daneben einigen Wuppertaler Mitgliedern der Bekennenden Kirche sowohl persönlich wie inhaltlich an. Als Dekan seiner Fakultät amtierte Weber bis zum Kriegsende, mit Ausnahme des Jahres 1943, als er zur Wehrmacht eingezogen wurde und in einem Kriegsgefangenenlager in Oberschlesien Dienst tat.
Der Übergang in die Nachkriegszeit verlief für Weber äußerlich weitgehend unproblematisch; sein Entnazifizierungsverfahren endete 1949 mit der Entlastung (Kategorie V). Dennoch empfand er sein Dasein als sehr von seinem Vorleben geprägt. Gegenüber Karl Barth und anderen (z. B. Martin Niemöller) bekannte Weber seine Schuld - und erfuhr dabei Vergebung. Trotz seines ehrlichen Schuldeingeständnisses war er aber nicht frei davon, in der Rückschau seine Vergangenheit an einigen Stellen apologetisch umzudeuten.
In den letzten Jahren bis zu seinem plötzlichen Tod 1966 verlief Webers Leben bei weitem nicht so bewegt wie zuvor. Theologisch zeigte er sich eindeutig von Karl Barth beeinflußt, über dessen »Kirchliche Dogmatik« er ab 1950 fortlaufend in präzisen Zusammenfassungen berichtete. Von Webers eigenen theologischen Werken sind besonders die zweibändigen »Grundlagen der Dogmatik« (1955 / 1962) zu nennen, in denen er neben einer breiten Aufnahme der Tradition und der Anlehnung an Barth vor allem durch die Verarbeitung personalistischer Denkstrukturen ein eigenes Profil zeigte. In seinen Seminaren an der Universität, aber auch in vielen Vorträgen und Aufsätzen behandelte er immer wieder die Anthropologie.
Wie ein roter Faden zieht sich die Beschäftigung mit Calvin und den reformierten Bekenntnisschriften durch seine Arbeit, weil es ihm ein wichtiges Anliegen war, die Relevanz reformatorischer Theologie in der Gegenwart aufzuzeigen. Aber auch zu neueren Themen wie der Frauenordination oder Wiederaufrüstung und Atombewaffnung nahm er (hier befürwortend - dort ablehnend) Stellung; in politischen Fragen äußerte er sich oftmals gemeinsam mit Ernst Wolf, der ihm unter den Göttinger Kollegen am nächsten stand. Dekan der theologischen Fakultät war Weber auch in den fünfziger Jahren (1950/51 sowie 1957/58), ferner amtierte er als Rektor der Universität Göttingen (1958/59) sowie als erster Gründungsrektor der Universität Bremen (1964-66).
Kirchliche Verantwortung übernahm er als Presbyter der reformierten Gemeinde (seit 1958), als Landessynodaler der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland (1963-65) sowie als Mitglied im Moderamen des Reformierten Bundes (1950-65). - Weber war oft in der ersten Reihe zu finden, beispielsweise es als deutsch-christlicher reformierter Geistlicher Minister 1933, als bedeutender deutscher Vertreter der Barthschen Theologie nach 1950, als Rektor der Göttinger und der Bremer Universität, sowie an anderen Orten. Durch seine Lehrtätigkeit und seine Veröffentlichungen prägte er über 32 Jahre lang nicht nur die studentische Art, reformierte Theologie zu treiben.
Er lebte in vier politischen Systemen und lehrte in allen theologischen Disziplinen (Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie). Seine rezeptive Begabung und seine pädagogischen Fähigkeiten, seine Auffassungsgabe und sein Darstellungsvermögen hoben ihn hervor, doch nicht immer dienten ihm seine Anlagen zum Guten.
Man kann Webers Leben auf mehreren Ebenen als ein »gebeugtes Leben« bezeichnen. Einmal in dem Sinne, daß er als gläubiger Christ sich dem Wort Gottes und den kirchlichen Bekenntnissen beugte. Zum zweiten war es ein »gebeugtes Leben«, weil W. sich vielfach den politischen Verhältnissen beugte und sich willig den Herrschenden unterordnete. Besonders im »Dritten Reich« beugte er sich den politischen Gegebenheiten derart, daß dies einer Beugung unter das Wort Gottes konträr gegenüberstand. Drittens: Als Weber sein Fehlverhalten erkannte und bereute, nahm er sein Leben wahr als von der Last der Vergangenheit »gebeugt«.
Quelle: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Dort ein Verzeichnis der Veröffentlichungen Otto Webers sowie von Büchern und Artikeln über ihn. Die Veröffentlichung auf reformiert-info erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Traugott Bautz.
Literatur:
- Vicco von Bülow, Otto Weber (1902-1966). Reformierter Theologe und Kirchenpolitiker (AKZG.B 34), Göttingen 1999
Bertold Klappert: Die Öffnung des Israelbundes für die Völker
Karl Barths Israeltheologie und die Bundestheologie der reformierten Reformation
I Die Bundestheologie der reformierten Reformation
1. Der Christus-Abraham Bund (H. Bullinger)
2. Der Christus-Abraham-David-Bund (J. Calvin)
3. (J. Coccejus)
II Der universal erweiterte Israelbund (K. Barth)
III Tendenz auf Vermischung und Vereinnahmung
Fragen an Barths Bundestheologie
„Das an die Welt gerichtete christliche Kerygma mit diesem Kern seiner Aussage über diesen israelitischen Menschen (Jesus) bedeutet nicht mehr und weniger als die Einbeziehung der Welt in den Bereich des Handelns Gottes mit seinem Volk Israel“ (K. Barth)
Wolfgang Schrage in Dankbarkeit und Ehrerbietung zugeeignet*
Ziel der folgenden Überlegungen ist, Karl Barths wegweisende These von dem einen, ungekündigten Bund Gottes mit Israel und Barths problematische These von der einen Israel-Gemeinde bestehend aus Israel und Kirche zunächst in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang zu verstehen, um sie dann präzisieren und korrigieren zu können. Dazu bedarf es des Hinweises auf die Entwicklung der reformatorischen Bundestheologie bei H. Zwingli, H. Bullinger, J. Calvin einerseits und ihre Weiterentwicklung bis hin zur Föderaltheologie des J. Coccejus andererseits. Erst in der kritisch-positiven Abgrenzung gegenüber Coccejus und in der positiv-kritischen Rezeption der reformierten Reformation läßt sich Barths eigene These entfalten: Seine These von dem einen, ungekündigten, eschatologisch geöffneten Israel-Bund, in welchen auch die Menschen aus der Völkerwelt durch Jesus Christus einbezogen werden. Einige Anfragen an Barths Bundes- und Israeltheologie sollen die Überlegungen abschließen.
I Die Bundestheologie der reformierten Reformation
Bei den Reformatoren des reformierten Flügels hat die Theologie des einen Bundes zunächst eine apologetische und antischwärmerische Funktion. Sie dient der Verteidigung der kirchlichen Kindertaufe gegenüber ihrer Bestreitung durch die Anabaptisten. Von daher betont man den einen Gnadenbund von Abraham bis Christus. Der eine Bund in seinen verschiedenen Zeiten und Aktualisierungen ist eigentlich ein Abraham-Christusbund. Noch genauer – die christologische Deutung des Alten Testaments vorausgesetzt: Er ist ein Christus-Abrahambund, d.h. ein Christusbund, dessen Substanz schon im Abraham-Bund gegenwärtig ist, ein Abraham-Bund, dessen Fundament der Christusbund ist. Daraus folgt für die Apologie der kirchlichen Kindertaufe: Weil die Kinder durch die Beschneidung in den Abraham-Bund aufgenommen worden sind, der Christusbund aber die Substanz schon des Abraham-Bundes darstellt, präfiguriert zwar die Beschneidung im Alten Testament die Kindertaufe im Neuen Testament, die Beschneidung wird aber post Christum baptizatum durch die Kindertaufe ersetzt. Die Bedeutung der Beschneidung als Präfiguration der Kindertaufe einerseits, wie auch die Ersetzung der Beschneidung durch die Kindertaufe andererseits gehören hier zusammen, wie natürlich auch die Behauptung der Illegitimität der Praxis der Beschneidung durch die Synagoge nach dem Kommen Christi dieses Bild nur ergänzt und bestätigt. Die Hermeneutik von Joh 8,36; 5,39 sowie von 2. Kor 3 und Hebr 8 – bzw. das damalige Verständnis dieser Stellen – spielt in der Reformation eine große Rolle.
1. Der Christus-Abraham Bund (H. Bullinger)
Aus dem klassischen Kompendium der Theologie Heinrich Bullingers, der Zweiten Helvetischen Konfession, zitiere ich den folgenden grundlegenden Abschnitt zu seiner Bundestheologie:
„Auch hatte die auf Erden streitende Kirche stets sehr viele besondere Kirchen, die aber alle zur Einheit der allgemeinen christlichen Kirche gehören. Diese war anders eingerichtet
a) vor dem Gesetz unter den Patriarchen, anders
b) unter Moses durch das Gesetz und wieder anders
c) seit Christus durch das Evangelium.
Gewöhnlich (!) unterscheidet man zweierlei Völker, nämlich das Volk der Israeliten und das Volk der Heiden, oder derer, die aus den Juden und aus den Heiden in der Kirche vereinigt wurden, ebenso zwei Testamente, das alte und das neue. Doch bildeten und bilden ... alle diese Völker nur eine einzige Gemeinschaft, sie haben alle ein Heil in einem Messias, in dem sie als Glieder eines Leibes im selben Glauben alle verbunden sind, und haben auch an derselben Speisung und demselben geistlichen Tranke teil [1. Kor 10]. Immerhin anerkennen wir hier, daß es in verschiedenen Zeiten verschiedene Bekenntnisse im Blick auf den verheißenen und den erschienenen Messias gegeben hat, daß aber uns nach Aufhebung des Zeremonialgesetzes das Licht heller leuchtet und daß uns auch vermehrte Gaben und vollere Freiheit gegeben sind.“[1]
Alle wesentlichen Elemente der Theologie des einen Gnadenbundes (foedus gratiae) sind hier bei Bullinger, dem Nachfolger Zwinglis in Zürich, versammelt:
• Die eine allgemeine christliche Kirche im Alten und Neuen Testament.
• Die eine ökumenische Kirche in den verschiedenen Bundschließungen und Zeiten.
• Die Verschiedenheit (diversitas) der Bundesinstitutionen: ante legem im Abrahambund, sub lege im Mosebund, post legem im Christusbund.
• Der eine in Christus gestiftete Gnadenbund impliziert die Einheit von Israel und den Christen aus den Heiden, begründet die eine Kirche aus Judenchristen und Heidenchristen und den einen Bund in den beiden Testamenten, dem Alten und dem Neuen Testament.
• Das eine ökumenische Gottesvolk der Kirche ist bedingt durch den einen Messias-Christus, der in der Zeit des Alten Testaments verheißen, in der Zeit des Neuen Testaments erschienen ist, in welchem das Licht nun heller leuchtet (2. Kor 3) und durch den uns nach der Aufhebung des alten Zeremonialgesetzes die vollere Freiheit gegeben ist.
Insofern von der apologetischen Funktion der Theologie des einen Bundes zur Rechtfertigung der Kindertaufe her der Akzent hier auf dem einen Christus-Abraham-Bund liegt (Joh 8,56ff.; Röm 4), wird ihm gegenüber der Mose-Sinai-Bund zwar als Wiederherstellung des Abraham-Bundes verstanden, aber doch als Wiederherstellung in einer spezifisch jüdischen Form, die – wie Gal 3 zeige – dem eigentlichen Abraham-Christus-Bund gegenüber sekundär und inferior ist. Daraus folgert Bullinger, „daß der christliche Glaube älter sei als der jüdische“, genauer formuliert, daß der christlich-israelitische Glaube (denn die Kirche aus Juden und Heiden sei das wahre Israel) älter sei als der jüdisch-sinaitische. Staedtke nennt dies „eine eigentümliche, offenbar nicht ganz stichhaltige, historische Beweisführung“[2].
Das ist zwar richtig! Das stimmt aber insofern nicht, als diese Beweisführung von der reformierten Theologie des einen Christus-Abraham-Bundes her folgerichtig und systemkonsequent ist.
Bullinger schreibt in seiner knappen, aber grundlegenden Schrift De testamento seu foedere dei unico et aeterno (1535): „una omnium ante et post Christum sanctorum ecclesia, unica sanctorum religio“. Es existiert eine vor und nach dem Kommen Christi heilige Kirche, eine einzige Frömmigkeit der Heiligen. G. Schrenk kommentiert: „Die Gläubigen des alten Bundes [besser: zur Zeit des Alten Testaments] stehen mit uns [den Heidenchristen] in Glaubensgemeinschaft“[3]. Man beachte die Formulierung bei Schrenk: nicht wir mit ihnen, sondern sie mit uns! D.h. den Integrationspunkt für die These von dem einen Bund und der einen Ecclesia bildet die Kirche als das ökumenische Gottesvolk aus Juden und Heiden, manchmal formuliert Schrenk auch die Kirche aus Heiden und Juden.
Schrenk erläutert diesen in der Tat eigentümlichen, aber – was Staedtke nicht sieht – innerhalb der reformierten Bundestheologie zugleich auch systemkonsequenten Satz so: „Die christliche Religion ist die älteste, denn von Abraham an sind alle Gläubigen Christen gewesen. Die christliche Religion ist nichts neuerdings Entstandenes, sondern etwas Uraltes“[4].
Da Abraham gerechtfertigt wurde, ehe er beschnitten war, ist christlicher, an Abraham orientierter Glaube nach Bullinger älter als der jüdische Glaube, der auf der Beschneidung Abrahams basiert. Auch das 430 Jahre nach der Abraham-Verheißung gegebene jüdische Gesetz mit den jüdischen Zeremonien reicht nicht so tief in den Ursprung wie der christlich-abrahamitische Glaube: „Daß aber Gott einen Bund gemacht hat mit Abraham, da er die Beschneidung einsetzt, dient mehr zur Bestätigung unseres heiligen christlichen Glaubens, als zur Erhaltung der jüdischen Bräuche“[5]. Die Kirche teilt mit dem alttestamentlich-abrahamitischen Israel die Hoffnung auf ein Leben mit den Vätern (Mt 8,11; Mk 12,27 = Ex 3,6; Lk 23,43), in sofern die gläubigen Väter des Alten Testaments und die Gläubigen des Neuen Testaments eine Kirche, ein ökumenisches Volk bilden, wobei die folgenden Unterschiede, die nicht zur Substanz, sondern nur zur Akzidenz, nur zur diversitas temporum gehören, bestehen bleiben:
• der Komparativ: Das Christuszeugnis des Neuen Testaments ist klarer.
• die Präfigurationen: Die Vorabbildungen fallen dahin, weil die res, die Sache selbst in Christus erschienen ist.
• die Zeremonien: Durch den Hohenpriester Christus ist der zeremoniale Opferkult – wie in antirömischer Tendenz betont wird – dahingefallen.
• die neue Qualität: Die nach Gen 18,18 verheißene Qualitätsveränderung des Bundes durch die Einbeziehung der Völker in den einen Abraham-Bund ist in Christus Wirklichkeit geworden.
• die Landgabe: Die Landverheißungen fallen fort, „da Christus der Pantokrator, der Herr der ganzen Erde geworden ist“, wobei jedem weltlichen Zionismus – als judaica vanitas beurteilt und verurteilt – die theologische Legitimität versagt wird[6].
Staedtke hat recht: Die Einheit des einen Bundes in der Verschiedenheit der Zeiten des Alten und Neuen Testaments[7] ist darin begründet, daß in Jesus, dem Samen Abrahams, das verheißene Erbe der Väter erschienen und mitgeteilt ist[8]. Es handelt sich also im Alten und Neuen Testament um den einen Christus-Abraham-Bund.
Staedtke meint, das sei kein Antisemitismus und Bullinger als „ihr Autor [sei] vor einem Antisemitismus geschützt“[9]. Antijudaismus ist es, wie wir spätestens seit Auschwitz erkennen können und müssen, allemal, der dazu antisemitisch verwertet werden kann, verwertet worden ist und für die Verwertung bis heute und auch weiterhin offen bleibt.
Juden als Gäste aufzunehmen, weil sie Lästerer unseres Herrn Jesus Christus, unseres Erlösers sind, davor hat Bullinger gewarnt[10], Judenmission gegenüber dem zeitgenössischen Judentum zu betreiben, hat er abgelehnt: „Was zu tun bliebe, wäre eine gemeinsame Lektüre der beiden Völkern gegebenen Heiligen Schrift“[11]. Erwartet hat Bullinger in seiner Auslegung der Apokalypse Johannes die von den Propheten verheißene „Restituierung Israels“: Im Jüngsten Gericht wird Gott „die Vollständigkeit der Kirche (!) aus Juden und Heiden ... offenbaren[12]. Die Kirche ist dann das vollendete Israel. Israel ist die vollendete Kirche aus Juden und Heiden. Dabei unterscheidet Bullinger, was die prophetischen Verheißungen der Restituierung Israels anbetrifft (Jer 31; Ez 36), drei Phasen: 1. die nachexilische Zeit der Heimkehr aus dem Exil; 2. die Ankunft Christi als des Messias und 3. die Wiederbringung Israels im Eschaton[13].
[1] J. Staedtke: Die Juden im historischen und theologischen Urteil des Schweizer Reformators Heinrich Bullinger, in: ders., Reformation und Zeugnis der Kirche, Zürich 1978, 29–49, 33f.
[2] a.a.O. 36.
[3] G. Schrenk: Gottesreich und Bund im älteren Protestantismus vornehmlich bei Johannes Coccejus 1923, Darmstadt 31967, 43.
[4] a.a.O. 43f.
[5] J. Staedtke: (Anm. 2) 37.
[6] a.a.O. 43, 47.
[7] J. Staedtke spricht fälschlich von der Einheit des alten und des neuen Bundes. Er folgt darin leider der Insitutio-Übersetzung meines Lehrers O. Weber, Neukirchen 1955 (nach der Übersetzung Webers wird unten zitiert). Richtiger vgl. H.H. Wolf: Die Einheit des Bundes. Das Verhältnis vom Altem und Neuem Testament bei Calvin, Neukirchen 1958.
[8] J. Staedtke: (Anm. 2) 43.
[9] ebd.
[10] ebd.
[11] a.a.O. 46; vgl. K. Barths entsprechende Äußerungen in KD IV/3,1005f.
[12] J. Staedtke: (Anm. 2) 47.
[13] a.a.O. 48f zu Röm 11,25ff.