Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1818 - 1898)
Im Februar 1863 wurde in Genf ein „Internationales Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege“ gegründet, um Henry Dunants Ideen zur Versorgung von Kriegsverletzten umzusetzen. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte Louis Appia, ein reformierter Pfarrerssohn aus Frankfurt/M.
Bendix Balke, Pfarrer der Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt/M., erzählt von dem Sohn eines seiner Vorgängers:
Louis Paul Amédée Appia wurde am 13. Oktober 1818 in Hanau geboren. Schon in seinem ersten Lebensjahr zog seine Familie nach Frankfurt am Main. Sein Vater Paul Appia war Pfarrer und übernahm 1819 die Pfarrstelle der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt. Kindheit und Jugend in diesem Frankfurter Pfarrhaus blieben für das weitere Leben von Louis Appia prägend.
Sein humanitäres Engagement hat tiefe religiöse Wurzeln. In seinen Publikationen machte er immer wieder deutlich, dass sein evangelisch-reformierter Glaube, angeregt von der damaligen Erweckungsbewegung, den Hintergrund für seinen rastlosen Einsatz für Kriegsverletzte darstellte. Sein Leben lang verstand er sich als Arzt, doch im Alter von 72 Jahren schloss er noch ein Theologiestudium in Paris ab. „Die Quelle meiner Erleuchtung war der Unterricht im Wort Gottes, als einziger unfehlbarer Offenbarung. Ich finde dort alles, was ich brauche, um mich aufzuklären über die Bedingungen des Heils“ schrieb er in einem Lebensrückblick 1897. Gelebte Nächstenliebe als Kern des Christentums, wie es Louis Appia als Grundüberzeugung mit den anderen, ebenfalls vom Calvinismus geprägten Vätern des Roten Kreuzes teilte, verbanden sie mit großer Toleranz gegenüber anderen Glaubensformen: So billigten sie bereits 1876 die Verwendung des Roten Halbmondes als muslimisches Äquivalent zum Roten Kreuz.
Louis Appia wuchs in zwei Sprachen und in Beziehung zu drei Kulturräumen auf: Sein Vater stammte aus Torre Pellice in Norditalien. Er gehörte zu den Waldensern, einer vorreformatorischen Kirche aus dem 12. Jahrhundert, die zahlreiche Verfolgungen nur in zwei Alpentälern überleben konnte. Zum Theologiestudium kam Paul Appia nach Genf und heiratete dort Charlotte Develey, die aus christlicher Frömmigkeit heraus mit großer Hingabe Arme und Kranke versorgte. In der Familie und in der Gemeinde sprach Louis Appia Französisch, in der Schule und mit Freunden Deutsch. Die zweisprachige Erziehung trug sicherlich dazu bei, dass er bald auch Englisch und Italienisch fließend beherrschte und bis ins hohe Lebensalter Sprachen wie Japanisch und Chinesisch lernte, um besser zum Aufbau der entstehenden nationalen Rotkreuz-Gesellschaften beitragen zu können.
Louis Appia begegnete von klein auf herausragenden Gestalten aus Wirtschaft, Politik und Kultur, die sich zur Französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt zählten. Die Gemeinde bestand aus Nachkommen von wallonischen und französischen Glaubensflüchtlingen, die als Kaufleute, Bankiers, Künstler und Gelehrte oft großen Erfolg hatten. Diplomaten der in Frankfurt residierenden Bundesversammlung des Deutschen Bundes gehörten zu den regelmäßigen Besuchern der Gottesdienste. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy wurde von Pfarrer Appia mit der Tochter eines früheren Pfarrers der Gemeinde getraut. In dieser illustren Umgebung erwarb Louis große Sicherheit im Umgang mit bekannten Persönlichkeiten, was ihm seine späteren Verhandlungen für das Rote Kreuz erleichterte.
Louis Appia schloss das Gymnasium Francofurtanum (damals Frankfurts einziges Gymnasium) mit dem Abitur ab und ging im Alter von 18 Jahren nach Genf, um dort die Hochschulreife zu erlangen. Zwei Jahre später begann er an der Universität in Bonn und Heidelberg ein Medizinstudium und promovierte 1842, um anschließend als Arzt nach Frankfurt zurückzukehren. Als politisch aufgeweckter Mensch hatte er sich in Heidelberg einer Studentenverbindung angeschlossen, die Demokratie und nationale Erneuerung forderte.
Die Unruhen in der Schweiz 1847 veranlassten Louis Appia nach Genf zu reisen. Ein Jahr später half er, Verwundete bei den Auseinandersetzungen der Februarrevolution in Paris und der Märzrevolution in Frankfurt zu versorgen. Da neben der Medizin auch militärische Auseinandersetzungen eine große Faszination auf ihn ausübten, galt sein spezielles Interesse fortan der Militärmedizin und der Verbesserung der Versorgung von Kriegsopfern.
Aus seinen Erfahrungen mit Schlachtfeldern entwickelte er unter anderem ein Gerät zur Ruhigstellung eines gebrochenen Arms oder Beines während des Transports. Darüber hinaus verfasste er Abhandlungen über die chirurgische Versorgung von Kriegsverletzungen.
1849, nach dem Tod des Vaters und nach der politischen Restauration, verließ Louis Appia mit seiner Mutter und anderen Verwandten Deutschland und ließ sich als praktischer Arzt und Militärarzt in Genf nieder, wo er später die Schweizer Staatsbürgerschaft annahm. 1853 heiratete er Anne Caroline Lassere und hatte mit ihr zwei Söhne und zwei Töchter. Sein Sohn Adolphe Appia wurde später als Architekt und Bühnenbildner bekannt.
In dem Arzt Theodor Maunoir fand Louis Appia in den ersten Genfer Jahren einen Mentor und väterlicher Freund. Sie verband die gleiche Sorge um die „modernen“ Formen der Kriegsführung (Krimkrieg 1853-56 mit hunderttausenden Verletzten und Toten), denen das überkommene Lazarettwesen nicht gewachsen war. Die Briefe seines Bruders Georg, der Pfarrer in Italien wurde, ließen Louis Appia 1859 im italienischen Befreiungskrieg ärztliche Hilfe leisten, so auch in der Schlacht von Solferino, deren Zeuge ebenfalls der zufällig anwesende Genfer Kaufmann Henry Dunant wurde. Dessen drei Jahre später erschienener Erlebnisbericht "Eine Erinnerung an Solferino" wurde zum Appell für die Pflege der Verwundeten und löste eine weltweite Bewegung aus.
Louis Appia und Henry Dunant gründeten, zusammen mit dem Rechtsanwalt Gustav Moynier, dem General Wilhelm Dufour und dem erwähnten Arzt Theodor Maunoir im Frühjahr 1863 das „Fünfer-Komitee“, den Vorläufer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.
Appia setzte sich bei der ersten Genfer Konferenz dafür ein, dass Mediziner und Pflegepersonal durch ein weißes Armband für alle Kriegsbeteiligte geschützt wurden. Historisch nicht eindeutig belegbar bleibt, ob nun Louis Appia oder General Dufour vorschlugen, das Rote Kreuz als Umkehrung der Schweizer Landesflagge zum Erkennungszeichen der neuen Bewegung zu machen.
Auf jeden Fall war Louis Appia der erste, der dieses Abzeichen trug: Im deutsch-dänischen Krieg von 1864 war Appia als Beobachter des Komitees auf Seiten von Preußen tätig, so wie sein niederländischer Kollege van de Velde auf dänischer Seite. Er brachte den Generälen und Offizieren die Beschlüsse der ersten Genfer Konferenz näher und leistete praktische ärztliche Hilfe. Seine Erfahrungen schrieb er in einem umfangreichen Bericht nieder. Noch im gleichen Jahr entstand die erste Genfer Konvention, der Grundpfeiler des humanitären Völkerrechts.
Zwei Jahre später, im Juni 1866, engagierte Appia sich erneut ohne Rücksicht auf die eigene Person im Rahmen der italienischen Befreiungskriege und behandelte auch Anführer Garibaldi nach einer Beinverletzung.
Ebenso war Appia im deutsch-französischen Krieg 1870/71 unter dem Schutz der Rotkreuz-Armbinde tätig. Nach dem Ausschluss Dunants 1867 wurde Appia bis 1870 sein Nachfolger als Sekretär des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Er war ein unermüdlicher Förderer und Propagandist der Idee des Roten Kreuzes. Im Oktober 1872 reiste er nach Ägypten und verhandelte mit dem ägyptischen Vizekönig Ismail Pascha, um die Gründung einer ersten außereuropäischen Rotkreuz-Organisation zu ermöglichen. Er unterstützte darüber hinaus Clara Barton brieflich beim Aufbau des US-amerikanischen Roten Kreuzes.
Louis Appia verfasste zahlreiche Publikationen. Auf vielen Konferenzen engagierte er sich für die Prinzipien des Roten Kreuzes und verhalf ihnen zum Durchbruch. Appia trat dafür ein, dass über den Einsatz im Krieg hinaus die nationalen Hilfsgesellschaften bei Naturkatastrophen und Epidemien Beistand leisten sollten. In Kriegszeiten erwartete er vom Roten Kreuz auch Hilfe bei der Versorgung von Flüchtlingen und Gefangenen. Der sonst so ruhige und zurückhaltende Appia konnte bei diesen Themen leidenschaftliches Engagement zeigen, womit er auch im Leitungskreis des Roten Kreuzes manchmal aneckte.
Bis 1892 nahm Louis Appia an den Rotkreuz-Konferenzen teil. Er starb am 1. März 1898 im Alter von fast 80 Jahren in Genf. In seiner Geburtsstadt Hanau und seinem Sterbeort Genf sind Straßen nach ihm benannt.
Gedenkstein an den Düppeler Schanzen (Schleswig) zur Erinnerung an Louis Appia und Charles van de Velde als erste IKRK-Beobachter 1864
Die 1789 erbaute Französisch-reformierte Kirche am Frankfurter Goetheplatz, 1944 zerstört.
Pfr. Bendix Balke, Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt/M., Januar 2014
Kirche und Staat Israel
Kirchliche Verlautbarungen aus uniertem und reformiertem Kontext
Rheinischer Synodalbeschluss (Januar 1980) und 1996 ergänzter Grundartikel
Wir und die Juden – Israel und die Kirche.
Leitsätze in der Begegnung von Juden und Christen (1990)
Diskussionsimpuls zur Lage in Israel / Palästina (EKiR im September 2008)
Evangelische Kirche im Rheinland
Rheinischer Synodalbeschluss (Januar 1980)
2. Vier Gründe veranlassen die Kirche dazu:
(1) Die Erkenntnis christlicher Mitverantwortung und Schuld an dem Holocaust, der Verfemung, Verfolgung und Ermordung der Juden im Dritten Reich.
(2) Neue biblische Einsichten über die bleibende heilsgeschichtliche Bedeutung Israels (z. B. Röm 9-11), die im Zusammenhang mit dem Kirchenkampf gewonnen worden sind.
(3) Die Einsicht, daß die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind (vgl. Studie ,Christen und Juden’ III.2. und 3).
(4) Die Bereitschaft von Juden zu Begegnung, gemeinsamem Lernen und Zusammenarbeit trotz des Holocaust.“
1996 ergänzter Grundartikel der rheinischen Kirchenordnung: „Die Evangelische Kirche im Rheinland bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“
Jüngere Texte zum Rheinischen Synodalbeschluss:
http://www.ekir.de/www/ueber-uns/materialien-und-links-13873.php
Evangelische Kirche der Union
Votum „Kirche als ‚Gemeinde von Brüdern’ (Barmen III)“ (Mai/Juni 1980)
des Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union
Der Staat Israel - Frage an die Kirche
Die „Entstehung des Staates und die damit verbundene Wiedergeburt des alten Israel in weithin sichtbarer Volksgestalt ist ein historisches Ereignis, daß sie beide - die Synagoge und die Kirche -, wenn sie in Wahrheit unter Gottes Wort stehen, in seiner heilsgeschichtlichen Komponente ernst zu nehmen haben“. (1) Wichtiger als die Zurückweisung eines solchen problematischen Satzes ist die Frage: Hat nicht auch die Kirche seit den Tagen von Nicäa (325 n. Chr.) ihre historische Entwicklung von der rechtlosen und oftmals verfolgten zur anerkannten, dann privilegierten und schließlich alleinigen Staatskirche heilsgeschichtlich interpretiert? Hat sie nicht diese Überhöhung historischer Ereignisse zu Zeichen göttlichen Offenbarens bis in unmittelbare Vergangenheit in vielen Formen fortgesetzt? Gerade die Barmer Synode hatte dem in ihrer ersten These widersprochen. So begegnen wir Christen in solchen Äußerungen frommer Israelis uns selbst, der Kirche durch die Jahrhunderte hindurch. Gerade die Kirchengeschichte zeigt, daß heilsgeschichtlicher Enthusiasmus auf politischem Feld von jeher den Blick für eine vernünftige, maßvolle Politik trübt. Wieder sind wir mit Juden auch an diesem Punkt in Blindheit und Schuld zusammengebunden.
Aber die gemeinsame Schuldverflochtenheit reicht noch weiter: Die den politischen Zionismus auslösende Broschüre Theodor Herzls ‚Der Judenstaat’ (1895) wurde unter dem Eindruck des Antisemitismus in Frankreich (Dreyfus-Prozeß 1894) verfaßt. Russische Juden wanderten nach den furchtbaren Pogromen von 1881-1884 und 1903-1905 nach Palästina aus, um dort eine sichere Heimstatt zu finden. Wenn der neue Staat Israel Züge eines Selbstbehauptungswillens trägt, der das eigene Recht groß und das Recht der Araber, die ihre Heimat verloren haben. klein schreibt, so sind dieses Überwiegen des Sicherheitsbedürfnisses und das Festhalten an der Besetzung fremder Gebiete eine bittere Frucht der Ausrottung des europäischen Judentums. Sie aber hat die evangelische Kirche in Deutschland, aufs Ganze gesehen, ohne Protest geschehen lassen. (2)
Der mit der Machtstellung der Kirche seit dem 4. Jahrhundert verstärkt auftretende Antijudaismus, der Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts und die Ausrottungspolitik des NS-Regimes sind natürlich zu unterscheiden. Aber jede Gestalt dieser Feindschaft erbte weithin Denkungsart, Verhalten und Methoden ihrer Vorgänger. Es scheint darum nicht haltbar, den heutigen Antizionismus von seinen Vorläufern völlig abzutrennen und zu behaupten, er habe mit ihnen nichts zu tun. In seiner radikalen Form verneint er die Existenz des Staates Israel und zielt damit auf die Austreibung von drei Millionen Menschen ins Elend. Die Behauptung, der Zionismus sei eine Form des Rassismus, ist von kirchlicher Seite mit Recht zurückgewiesen worden. Daß bei der Entstehung des Staates Israel Gewalt und Unrecht geschehen sind, unterscheidet diese Staatsgründung in nichts von der Gründung anderer Staaten und Reiche. Und daß auch die israelische Politik die Züge der gefallenen Menschenwelt trägt, ist kein Grund, ‚Israel’ zu verdammen. Viele Israelis sagen heute: ‚Wir wollen ein normales Volk sein - nichts weiter.’ Danach soll Israel ein moderner Staat wie alle anderen sein, und seine Politik soll sich nicht von den Methoden und Zielen der Politik anderer Staaten unterscheiden. Gleichwohl haben seine jüdischen Bürger an dem Geheimnis teil, das über der Geschichte der Juden liegt. Das bringt der Staat Israel dadurch zum Ausdruck, dass seine Gesetze vielfältige Bezüge zu religiösen Gesetzen haben. (3) Freilich schränken diese Bezüge die Rechte der Christen jüdischer Abstammung und der arabischen Bürger Israels ein. So steht dieser neue Staat im Licht und im Schatten: Einerseits ist er für Juden und Christen ein Zeichen der Treue Gottes, der aus dem Tod Leben schafft und sein Reich vollenden wird. Andererseits ist auch die Geschichte des Staates Israel nicht frei von menschlichem Irrtum und Zurückbleiben hinter der Berufung. Selbst jüdische Stimmen haben daran erinnert, daß Israel zum Segen für andere Völker gesetzt wurde (Gen 12,3), daß aber diese Zusage durch die ihm als Staat aufgezwungenen Auseinandersetzungen immer wieder verdunkelt wird. So können wir als evangelische Christen in Deutschland uns keinesfalls von dem weiteren Weg dieses Staates und seiner jüdischen Bürger distanzieren. Praktisch bedeutet das: Bejahung der Existenz des Staates Israel und engagiertes Suchen nach einer gerechten und umfassenden Friedensordnung im Nahen Osten. Vor allem aber gilt es, das jüdisch-christliche Gespräch bei uns fortzusetzen und zu vertiefen."
(1) Schalom Ben-Chorin. Im jüdisch-christlichen Gespräch, Berlin 1962, S. 99.
(2) Erst 1943 hat die Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union in einem Wort zum Bußtag den Mord au den Juden verurteilt. Darin wird vor der Übertretung der 10 Gebote gewarnt. Jeder Hinweis auf ein Gebot beginnt mit dem Ruf: ‚Wehe uns!’ Zum 5. Gebot heißt es: ‚Wehe uns und unserem Volk, wenn das von Gott gegebene Leben für gering geachtet und der Mensch, nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen, nur nach seinem Nutzen bewertet wird; wenn es für berechtigt gilt. Menschen zu töten, weil sie für lebensunwert gelten oder einer anderen Rasse angehören, wenn Haß und Unbarmherzigkeit sich breit machen. Denn Gott spricht: ‚Du sollst nicht töten’.’ Doch fand diese Kanzelabkündigung in den sich verschärfenden Luftangriffen auf Deutschland vermutlich wenig Beachtung.
(3) Gemeint sind Bezugnahmen auf den Talmud. der eine Sammlung von Bestimmungen enthält, die die alttestamentliche Weisung weiterführen und für das Leben des einzelnen Juden anwendungsfähig machen sollen.
Evangelische Kirche im Rheinland
Rheinische Erklärung (1983)
„1. Wir rufen erneut unsere Gemeinden und die Öffentlichkeit zur Umkehr auf. Wir dürfen nicht unwidersprochen hinnehmen, wenn der Libanon-Krieg und seine schrecklichen Folgen unseren jüdischen Mitbürgern zur Last gelegt werden. Sie hatten auf die Entstehung und den Verlauf dieses Krieges keinen Einfluß. Wir ermutigen die Glieder unserer Kirche, offen für unsere jüdischen Mitbürger einzustehen, wo immer diese auf alte oder neue Vorurteile stoßen. Ebenso bitten wir insbesondere evangelische Eltern und Lehrer, entschieden dazu beizutragen, daß die jüdischen Mitbürger ohne Bedrohung und Angst mit uns leben können.
2. Wir verurteilen, wie in manchen Medien über die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten berichtet wurde. Wer Entscheidungen einer demokratisch legitimierten und demokratischer Opposition ausgesetzten Regierung - mag er sie für falsch und verhängnisvoll halten - mit Begriffen wie „Holocaust" und „Endlösung" bezeichnet, beleidigt die Opfer der nationalsozialistischen Judenvernichtung.
3. Wir wehren uns gegen einen neuen Antisemitismus, der sich als Anti-Zionismus oder Anti-Beginismus tarnt und mit kaum verhohlener Schadenfreude darauf hinweist, daß der Staat Israel durch seine militärischen Aktionen in Schuld verstrickt wurde.
Aus dem Synodalbeschluß von 1980 folgt nicht der Verzicht auf Kritik an bestimmten Entscheidungen der jetzigen Regierung Israels. Doch ist zu beachten, daß die Gefühle jüdischer Mitbürger verletzt werden können. Auch müssen sich Christen hüten, mit solcher Kritik dem alten und neuen Antisemitismus Vorschub zu leisten oder an Versuchen wahrheitswidriger Entlastung von historischer deutscher Verantwortung teilzuhaben.
4. Wir hoffen auf Frieden im Nahen Osten und eine für alle an dem Konflikt beteiligten Völker und Gruppen gerechte Lösung. Wir wünschen, daß von allen Menschen in dieser Region endlich die Angst weicht, daß das Leiden unschuldiger Menschen beendet wird und daß ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten auch zu einer freieren Begegnung zwischen Juden und Christen führt.
5. Wir rufen alle Glieder unserer Kirche auf, sich mehr noch als bisher mit Glauben, Wesen und Geschichte des jüdischen Volkes zu beschäftigen und damit zur Verwirklichung des Synodalbeschlusses von 1980 beizutragen.“
Evangelisch-reformierte Kirche
Beschluss zum Verhältnis von Kirche und Israel
des Landeskirchentags der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland (Mai 1984)
Mit ihrer gemeinsamen Hoffnung auf die Verheißungen und die kommende messianische Welt Gottes sind Juden und Christen zum Aufbau einer durch Recht, Gerechtigkeit und Frieden bestimmten Weltgesellschaft berufen.
Deshalb bitten wir die Gemeinden und die Bezirkskirchenverbände, aber auch die anderen Kirchen, sich mit allen Formen des Antijudaismus in Theologie und Kirche, in Verkündigung und Unterricht kritisch auseinanderzusetzen, dem Wiederaufleben des Antisemitismus in unserer Gesellschaft zu widerstehen, sensibel zu werden für die Leidens- und Hoffnungsgeschichte des jüdischen Volkes und gegen einen pauschalisierenden Antizionismus aufzustehen, der Israel eine freie und unabhängige Existenz abspricht.
Belastet mit unserer Schuld am Holocaust, erscheint uns die Vorstellung ungeheuerlich, daß deutsche Waffen im Konfliktfall gegen die überlebenden Opfer des Holocaust, gegen ihre Kinder und die übrigen Teile des jüdischen Volkes in Israel eingesetzt würden. Wir beten und hoffen, daß Israel und seine Nachbarn zu einem Leben in Frieden und Gerechtigkeit finden werden.“
Reformierter Bund
Wir und die Juden – Israel und die Kirche.
Leitsätze in der Begegnung von Juden und Christen (1990)
Leitsatz VI
Israel: Volk, Land, Staat
„Dankbar preisen wir die Treue Gottes, der sein Volk erwählt hat. Wir erkennen, daß untrennbar mit der Erwählung die Landverheißung verbunden ist. Die Erinnerung an diese Verheißung ist von Israel sowohl im Land als auch in der Diaspora lebendig gehalten worden. Das zeigen unter anderem der Festkalender und die Liturgie. Diese Beziehung zum Land hat auch Eingang gefunden in den politischen Zionismus und zur Gründung und Entwicklung des Staates Israel beigetragen. In unserer Zeit sehen wir in der Rückkehr von Juden ins Land Israel eine Bestätigung der Treue Gottes.
In dem allen werden die irdisch-geschichtlichen Dimensionen der Verheißungen Gottes den Christen und allen Völkern nachhaltig vor Augen und ins Bewußtsein gerückt.
„Und ich will die übrigen meiner Herde sammeln aus allen Ländern, dahin ich sie verstoßen habe, und will sie wiederbringen zu ihren Hürden, daß sie sollen wachsen und viel werden.“ (Jer. 23, 3)
„Denn so spricht der Herr Zebaoth, der mich gesandt hat, über die Völker, die euch beraubt haben: Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an.“ (Sach. 2, 12)
Weil wir als Christen in einem besonderen Zusammenhang mit dem jüdischen Volk stehen, treten wir öffentlich für das Leben dieses Volkes ein und begleiten voll Hoffnung und Sorge das Leben der Juden im Land Israel und den Weg des Staates Israel. Wir widersprechen allen Bestrebungen, die das Lebensrecht Israels problematisieren. Mit unseren Gebeten und in politischer Verantwortung sind wir dem Staat Israel, seiner Lebensgestalt und seiner Entwicklung, besonders in seinen Gefährdungen und Bedrohungen, zugewandt und verpflichtet.“
Aus: Wir und die Juden – Israel und die Kirche. Leitsätze in der Begegnung von Juden und Christen, hrsg. von Maik Fleck (Reformierte Akzente 3), 2. Aufl. Wuppertal 1997
Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)
Leuenberger Kirchengemeinschaft
Kirche und Israel (2001)
Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden
Unter Teil I: Israel und die Kirche:
„Die Frage einer theologischen Deutung des Staates Israel wird von den Kirchen unterschiedlich beantwortet. In einigen Erklärungen wird die Gründung dieses Staates im Jahre 1948 ausdrücklich als ein geschichtliches Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk gewertet; in anderen Erklärungen fehlt eine theologische Aussage über den Staat Israel. Ein weitgehender Konsens besteht darin, daß sorgfältig unterschieden wird zwischen der biblischen Landverheißung an das Volk Israel und dem säkularen Staat Israel. In der erwähnten österreichischen Erklärung aus dem Jahre 1998 wird die Hoffnung ausgesprochen, daß ‚dieser Staat mit seinen Nachbarn – insbesondere mit dem palästinensischen Volk – in gegenseitiger Achtung des Heimatrechtes einen sicheren Frieden findet, so daß Juden, Christen und Muslime friedlich zusammenleben können’.“
"1.1.3 Die Kirche ist aus geschichtlichen und theologischen Gründen mit Israel in Solidarität verbunden. Dies gilt auch dann, wenn Kirchen zum arabisch-israelischen Konflikt und zu aktuellen politischen Entscheidungen der Regierung des Staates Israel kritisch Stellung nehmen. Die Kirchen treten allen Tendenzen entgegen, die zionistische Bewegung, die zur Gründung des Staates Israel führte, als rassistisch zu diffamieren. Die Kirchen unterstützen alle Bemühungen des Staates Israel und seiner Nachbarn, insbesondere des palästinensischen Volkes, in gegenseitiger Achtung einen sicheren, dauerhaften und gerechten Frieden zu finden und zu bewahren. Die Frage, ob die Gründung und Existenz des Staates Israel auch für Christen eine theologische Bedeutung hat, wird in den Kirchen unterschiedlich beantwortet und bleibt eine Herausforderung für die Kirchen. In diesem Zusammenhang ist jede direkte politische Inanspruchnahme der biblischen Landverheißungen zurückzuweisen. Ebenso sind alle Deutungen, die diese Verheißungen im Licht des christlichen Glaubens als überholt ansehen, abzulehnen. Die christliche Wahrnehmung der Erwählung Israels als Volk Gottes kann in keinem Fall dazu führen, daß die Unterdrückung von politischen, ethnischen und religiösen Minoritäten religiös legitimiert wird."
Unter Teil III: Die Kirche in Israels Gegenwart:
"Die Kirchen unterstützen alle Bemühungen des Staates Israel und seiner Nachbarn, insbesondere des palästinensischen Volkes, in gegenseitiger Achtung einen sicheren, dauerhaften und gerechten Frieden zu finden und zu bewahren. Die Frage, ob die Gründung und Existenz des Staates Israel auch für Christen eine theologische Bedeutung hat, wird in den Kirchen unterschiedlich beantwortet und bleibt eine Herausforderung für die Kirchen. In diesem Zusammenhang ist jede direkte politische Inanspruchnahme der biblischen Landverheißungen zurückzuweisen. Ebenso sind alle Deutungen, die diese Verheißungen im Licht des christlichen Glaubens als überholt ansehen, abzulehnen. Die christliche Wahrnehmung der Erwählung Israels als Volk Gottes kann in keinem Fall dazu führen, daß die Unterdrückung von politischen, ethnischen und religiösen Minoritäten religiös legitimiert wird."
Quelle: Kirche und Israel (2001), Leuenberger Texte Heft 6
Barbara Schenck
Am 28. Juni 2011 vor zehn Jahren markierte die GEKE-Studie „Kirche und Israel“ einen Meilenstein in den jüdisch-christlichen Beziehungen. Zu ihrem Jubiläum tagten rund 40 Experten aus Europa in Arnoldshain und riefen erneut zu ihrer Umsetzung auf.
"60 Jahre Staat Israel. Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist" - das Themanheft 2008 des Deutschen Koordinierungsrats e.V. mit theologischen, gesellschaftspolitischen und pädagogischen Beiträgen steht bereit zur Online Bestellung.
Das Verhältnis Israels zu seinem Land ist kaum bedacht in christlicher Dogmatik. Anders bei Friedrich-Wilhelm Marquardt, dem 2002 in Berlin verstorbenen Professor für Evangelische Theologie. In seiner Eschatologie lädt Marquardt ein, das jüdische Volk und seinen Staat als "neue Tatsache" wahrzunehmen. Er hält dabei fest: Bis zum jüngsten Gericht „können wir die Geschichte von den Juden und ihrem Land nur als Geburtswehen eines kommenden Neuen begreifen“.
"Jetzt können wirs in der Zeitung lesen: Gott hält seine Verheißung.“ - So Karl Barth unter dem Eindruck des militärischen Sieges Israels im Sechtstagekrieg.
In dem Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel sieht der Alttestamentler Frank Crüsemann die möglicherweise größte Herausforderung für christliche Theologie dieser Tage. Er benennt drei Problemfelder einer christlich-theologischen Beurteilung des Staates Israel und erinnert an drei Aspekte, die für weitere kirchliche Stellungnahmen zum jüdischen Staat zu bedenken sind.