Sein Lichtstrahl

Gottesdienst zum letzten Sonntag nach Epiphanias. Mit Texten von Kurt Marti, zu dessen 100. Geburtstag am 31.1.21


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Von Jürgen Kaiser

Orgelvorspiel

Votum und Begrüßung

EG 70 oder 74 oder 450 oder Psalm 97 B,1+4

 

Lektor/in:

lichtstrahl

immer ist ER
mit uns zusammen
immer ist ER
von uns getrennt
immer ist eine wand
zwischen uns und IHM
und in der wand
eine tür –
oft lange verschlossen
plötzlich sich öffnend:
SEIN lichtstrahl
SEIN wort

[aus: Kurt Marti, gott gerneklein. gedichte, 2011, 60]

 

Pfarrer/in:

gottesdienst

keim wort
keim!

klimm in
köpfe

kriech durch
körper

knet den
kummer

kitt was
klafft

kämpf was
klemmt

klär das
kreuz

krön mit
kraft!

[aus: Kurt Marti, gott gerneklein. gedichte, 2011, 61]

 

Pfarrer/in: Gebet

Gott,
lass dein Wort keimen und in den Köpfen klimmen und durch die Körper kriechen, damit es unseren Kummer knete und kitte, was klafft, und kämpfe gegen das, was klemmt. Damit es das Kreuz kläre, deines und unseres, und uns kröne mit Kraft und dich mit Dank.
Wir leiden an Taubheit und hören dich nicht.
Amen.

 

Lektor/in:

Der tröster

träte doch
aus seinem dunkel
der tröster
hinaus ins licht!

nicht bräuchte
sein kommen
sein antlitz
sichtbar zu werden

ein hauch
der berührte
ein wahrhaftiger
tonfall genügte

uns: die – von falschen
tröstern genarrt -
aller tröstung
misstrauen

uns: die – trostlos
lebend und sterbend -
einander nicht
zu trösten vermögen

[aus: Kurt Marti, gott gerneklein. gedichte, 2011, 66]

 

Pfarrer/in: Lesung: 2. Mose 3,1-8a.10.13-14

 

Lektor/in: ein Glaubensbekenntnis von Kurt Marti

Ich glaube an Gott
der Liebe ist
der Schöpfer des Himmels und der Erde

Ich glaube an Jesus
sein menschgewordenes Wort
den Messias der Bedrängten und Unterdrückten
der das Reich Gottes verkündet hat
und gekreuzigt wurde deswegen
ausgeliefert wie wir der Vernichtung des Todes
aber am dritten Tag auferstanden
um weiterzuwirken für unsere Befreiung
bis dass Gott alles in allem sein wird

Ich glaube an den Heiligen Geist
der uns zu Mitstreitern des Auferstandenen macht
zu Brüdern und Schwestern derer
die für Gerechtigkeit kämpfen und leiden

Ich glaube an die Gemeinschaft der weltweiten Kirche
an die Vergebung der Sünden
an den Frieden auf Erden für den zu arbeiten Sinn hat
und an die Erfüllung des Lebens
über unser Leben hinaus

Amen.

 

Orgelzwischenspiel

 

Pfarrer/in:

Der Name

»Gott« - ein Begriff, kein Name! Dasselbe gilt von Vokabeln wie »Ewiger«, »Schöpfer«, »Vater«, »Herr«. Vor diesen oder anderen Begriffen war der Name.

*

Im Lauf der Jahrhunderte haben die Juden den Namen Gottes ins Schweigen zurückgenommen, er bleibt unausgesprochen. Als sein Ersatz- und zugleich Deckwort dient vornehmlich der Begriff »Herr« Das Verschweigen des Namens wurde als ein Akt der Namensheiligung verstanden. Obgleich sich die Christen an dieses Tabu nicht gebunden glauben, ersetzen ihre Bibelübersetzungen den Namen doch auch durch den Begriff »Herr«.

*

Lektor/in:

Nach der Schleifung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70 nahm sozusagen der Name die Stelle des Allerheiligsten ein, das leer und bildlos gewesen war. Das Sanctissimum war fortan weder ortsgebunden noch ein Raum, sondern der von jedermann und überall vollziehbare Verschweige- und (ersetzende) Sprechakt zur Heiligung des Namens. Aus der Obhut von Tempelpriestern ging das Allerheiligste über in diejenige aller Juden und Jüdinnen, die dadurch vollends zum Priestervolk wurden, gemäß der sinaitischen Verheißung (2. Mose 19,6).
[ggf. weglassen: Wiederholt sich auf sprachlicher Ebene die einstige Leere des Allerheiligsten, der Tempel-Cella, also in der semantischen Leere des Namens, d.h. des Tetragramms? Denn was bedeutet jhwh? Geht die Konsonantenkonstellation auf noch ältere Formen wie jh, jhh, jhw zurück? Könnte die arabische Wurzel hwj, »leidenschaftlich sein-«, weiterhelfen? Woher überhaupt kam das Wort? War es ursprünglich ein Ruf (Aufruf, Anruf)? Niemand mehr vermag Genaues zu sagen. Ein Fremd-, ein Leihwort offenbar bereits im Hebräischen. Seine Wurzeln verlieren sich im Dunkel frühester Geschichte. Und so ist der Name schließlich bedeutungsfrei geworden. Wortgeschichtlicher Zufall? Oder vielleicht eine providentielle Entwicklung, die den Namen jhwh sozusagen entschlackte, bis daß er optimal adäquat für Ihn stehen konnte, der durch nichts, z. B. auch durch keine Geschlechtsrolle, determiniert ist?]

*

Pfarrer/in:

Der Eigenname jhwh/Jahwe, den Juden als allerheiligste Kostbarkeit im Safe ihres Verschweigens verwahren, teilt jedenfalls nicht Bedeutung, sondern Identität mit.

*

Wer seinen Namen nennt - wie Jahwe in 2. Mose 3,14, in 2. Mose 20,2 -, signalisiert Beziehungsbereitschaft, Beziehungslust sogar. Im Falle Israels konkretisierte diese sich in der Stiftung des Bundes. Mit ihm hat Jahwe sich selber in freiem Entschluß determiniert und behaftbar gemacht. Israel seinerseits fand in diesem Bund zur eigenen Identität als »Volk des Namens«.

*

Lektor/in:

Gewiß, andere Götter, Göttinnen tragen ebenfalls Namen. Doch haftet ihre Identität nicht unlösbar am Namen, sondern vielmehr an derjenigen Seinsmacht, die sie repräsentieren, weshalb ihre Namen, bei sich gleichbleibender Funktion, von Sprache zu Sprache, von Kult zu Kult anders lauten können. Wogegen der Name jhwh auf nichts sonst verweist als einzig und allein nur auf Ihn, der nicht etwas außerhalb Seiner selbst repräsentiert (irgendeine Seins- oder Schöpfungsmacht), sondern freierdings ist, der Er ist.

*

Pfarrer/in:

Reinster Eigenname somit! Dennoch versuchte Israel in 2. Mose 3,13-15 eine Deutung, eine poetische, theopoetische, denn sie geht assoziativ von Lautanklängen aus und glaubt aus dem vorhebräischen jhwh die hebräische Aussage heraushören zu können: »Ich bin, der ich bin« - d. h. kein Repräsentant von etwas anderem. Da das Hebräische zwischen Gegenwarts- und Zukunftsform nicht unterscheidet, besagt dies zugleich: »Ich werde (da) sein, (als) der ich (jeweils da) sein werde« - eine Zusage SEINER freien, nicht vorausbestimmbaren, jeweils neu und anders sich ereignenden Gegenwart als Garant des mit Israel geschlossenen Bundes.

*

Lektor/in:

Der Zusage ist überdies zu entnehmen, daß bei diesem Gott mit keiner zeit/räumlichen Allgegenwart, vielmehr mit zeitweiligen Abwesenheiten gerechnet wird. Deswegen vielleicht die häufige, bibeltypische Rede von SEINEM »Kommen«? Ein Allgegenwärtiger »kommt« nicht, er ist eh schon da.

*

Pfarrer/in:

Heute aber? Wir aber? »Vielleicht können wir heute Gott nicht mehr nennen (und es wäre vergeudete Zeit, dem nachzutrauern) … und von dem Donner des Sinai erreicht uns nur noch gelegentlich ein schwacher Nachhall. Wir fahren jedoch fort, diesen Nachglanz und Nachhall, wie sie uns in der Erde, in den Dingen der sichtbaren Welt erscheinen, zu nennen« (Philippe Jaccottet)

*

Lektor/in:

Und Israel, die Juden? Glaubten, dem Namen jhwh die Zusage SEINES bundestreuen Kommens und Eingreifens entnehmen zu können, Was ist aus dieser Zusage und der Hoffnung auf ihre Einlösung in der Hölle des Holocausts geworden? Wer vermochte diese Frage zu beantworten außer jenen, die nicht mehr reden können - den Opfern?

*

Pfarrer/in:

Unerträglich jene, die sich erdreisten, den Holocaust - sowie andere Massaker, Genozide - »erklären« zu wollen, meistens mittels einer Theodizee, einer Rechtfertigung Gottes gegenüber dem Leiden, den Greueln in der Welt. Allein, mißachten Theodizeen nicht das Geheimnis, das nicht instrumentalisierbare, SEINES Namens und operieren statt dessen mit Allgemeinbegriffen wie z.B. Allmacht, Allgegenwart, Allwissen? Er jedoch, der Gott namentlicher Identität, ist kein Begriff, schon gar kein allgemeiner. Er ist der Eine, der Besondere, der »Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs« (2. Mose 3,15). Theodizeen versuchen, das Leiden in angeblich größere Zusammenhänge einzuordnen. Er aber ist der Gott des leidenden Gottesvolkes, der Gott des gekreuzigten Juden Jesus, Er ordnet das Leiden nicht ein, Er macht es vielmehr kenntlich als die Ursache SEINES Schmerzes.

*

Lektor/in:

Die hebräische Bibel - die Bibel Jesu! - kennt kein »besseres« Jenseits, ist nicht an der Frage orientiert: »Was geschieht mit mir nach dem Tod?« Israels Glaube war radikal diesseitig, Jahwe ein Gott atemberaubender Weltleidenschaft. Warum der Haß ausgerechnet und immer wieder gegen eben dieses Volk? Gilt der Haß gegen Israel insgeheim vielleicht dem Diesseits und seinen Lebensbedingungen (z. B. unserer Vergänglichkeit, Sterblichkeit) überhaupt? Ist somit Gotteshaß und Selbsthaß? Die selbstzerstörerische Art unseres Umgangs mit allem Diesseitigen und Lebendigen könnte für diese Hypothese sprechen.

*

Pfarrer/in:

Zum Holocaust - und zu ähnlichen Vernichtungen - gibt es wohl nur eine Aussage, die theologisch verantwortet werden kann: Hier brannte die Hölle auf Erden, hier triumphierte das absolut Böse. Dessen Glut ist nicht erloschen. Weiterschwelend sucht sie neue Nahrung in uns, unter uns. »Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.« (Primo Levi zu Auschwitz)

*

Lektor/in:

Aus dem Auschwitz-Tagebuch eines rabbinischen Richters zitiert Elie Wiesel die folgende Aufzeichnung: »Wir waren Zeugen der Ankunft von Transporten aus Bendin und Sosnowiec. Ein älterer Rabbi war darunter. Da sie aus den Städten, die in der Nähe gelegen waren, kamen, wußten sie, was sie erwartet, Sie wußten es. Und der Rabbi betrat den Entkleidungsraum, und plötzlich begann er zu tanzen und zu singen. Ganz allein. Und die anderen sagten nichts. Und er sang und tanzte eine ganze Weile. Dann starb er für ›kiddush haschem, für die Verherrlichung des Namens Gottes« - Kann man als Christ die Bitte »Dein Name werde geheiligt« noch auf die Zunge nehmen oder im Herzen bewegen, ohne eine solche Szene vor das innere Auge gerückt zu bekommen?

*

Pfarrer/in:

Jahwe/jhwh ist der Name dessen, der »Ich« sagt, auf daß wir Ihm Du werden und in der Beziehung zu Ihm unsere eigene Identität finden können. Seinen Namen heiligen heißt, ihn aussondern aus allen sonstigen Namen, Wörtern, Begriffen, weil er die Nähe dessen verbürgt, der uns in freier Zuwendung näher kommt, als wir uns je selber nahe sein können, sei‘s im Leben, sei‘s im Sterben.

*

Lektor/in:

Nie aber läßt der Gott namentlicher Identität sich auf Eigenschaften und Normen festlegen, die ein objektivierendes Denken für den Gottesbegriff bereithält. Indem Er »Ich« sagt, desavouiert Er die Versuche, Ihn begrifflich zu objektivieren und verfügbar zu machen, offenbart Sich vielmehr als absolutes, als unverfügbares Subjekt.

*

Pfarrer/in:

Als solches nahm und nimmt Er Beziehung auf mit uns - prototypisch dafür der Bund mit Israel -, gibt Sich als der in Lust und Schmerz, in Weisung und Zorn, im Kommen und Gehen Lebendige zu erkennen.

[aus: Kurt Marti, Von der Weltleidenschaft Gottes. Denkskizzen, 2011, 22-28]

 

EG 153,1+2+5

 

Pfarrer/in: Fürbitten

Gott,
können wir deinen Namen noch heiligen? Nach allen, was geschehen ist und geschieht und vielleicht noch geschehen wird?
Wir wagen es, wenn Du es noch willst.
Nur, sag uns, wie wir deinen heiligen Namen aussprechen sollen.
Sag uns, wo wir ihn anrufen sollen.
Sag uns, wann wir ihn besser nicht in den Mund nehmen sollten.
Sag uns, wer ihn mit uns nennen darf.
Sag uns, wodurch wir deinen Namen heiligen.
Und stopf uns das Maul, wenn wir im Begriff sind, ihn zu missbrauchen.
Wir danken dir für die Gerechten, die deinen Namen zu heiligen wissen zur rechten Zeit, am rechten Ort, mit gerechtem Tun – damals und heute. Sie sollen auch in Zukunft leben. Amen.
Alle: Unservater…

 

Ps 68,6
 

Pfarrer/in: Segen

Orgelnachspiel


Jürgen Kaiser