Schwarmintelligenz - oder: Von der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen

Pfingstpredigt zu 1. Korinther 12,4-11


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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Schwarmintelligenz

Ein Fischschwarm braucht keinen Anführer. Jedes einzelne Tier für sich ist klein und wehrlos, aber in der Masse entwickeln die Fische eine geniale Schutzstrategie. Ein mikrofeiner Tastsinn lässt sie auf Angriffe und Veränderungen blitzschnell synchron reagieren. Was eben noch ungeordnet, wild und panisch wirkte, findet zu einer Form, in der das einzelnen Tier ein Teil des Ganzen wird. Eine riesige Kugel pulsierenden Lebens entsteht, die um eine imaginäre Achse kreist, immer schneller, immer kraftvoller. Die Tiere bündeln ihre Leiber und ihre Lebensenergie, geben sich so in blauer Tiefe Halt und Schutz. Mit solcher „Schwarmintelligenz“ können Sardinenzüge im Mittelmeer ihre Fressfeinde bis zur Erschöpfung treiben.

Schwarmintelligenz ist ein Naturwunder: Schönheit der Form - Stille, mit der sie sich findet. Gleichzeitigkeit und Gleichartigkeit der Bewegung, Schnelligkeit, energetisches Surren glänzender Leiber!

Schwarmintelligenz, die keinen Anführer braucht, wohnt der ganzen Schöpfung inne: von den wandernden Herden der Steppe über die Vogelformationen am Himmel bis in die Tiefen des Meeres.

Schwarmintelligenz hat immer Sinn: Sie dient dem Schutz der Schwachen. Der Einzelne, der klein und wehrlos ist, muss so nicht bleiben! In der Gemeinschaft der Art, in der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder, wird er teil einer Einheit, die viel größer ist als er selbst. Die eine Sardine hat dem großen Thun nichts entgegen zu setzen, aber im Schwarm hat ihr Leben Zukunft.

Dabei scheint jede Bewegung vom selben Sinn, vom selben Trieb, vom selben Geist gelenkt, ohne dass das dem einzelnen bewusst würde oder bewusst gesagt sei. Und trotzdem ist nicht gleichgültig, wie einer ist und was er einbringt. Im kugelförmigen Fischschwarm schwimmen manche oben, manche unten, andere bilden die volle Mitte. Einige kreisen schnell um die eigene Achse, andere gemächlich. Viele stabilisieren die Form von innen heraus, sehr wenige decken die äußeren Flanken.

Ein Fischschwarm braucht keinen Anführer – Diktatoren, Massenverführer, Seelenvergifter findet man nicht im Ozean! Es gibt sie dort nicht. Niemand will hier dem Bösen dienen.

Wer sagt den Fischen, wo je ihr Ort ist?
Wer fügt die einzelnen so zusammen, dass sie ein Leib sind?
Wer bündelt die viele Gaben auf das Ziel hin: Leben?

Viele Gaben – ein Geist (I. Korintherbrief 12, 4-11)

Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott,
der da wirkt alles in allen.

In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.

Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.

Was wären wir ohne Pfingsten?

Am Pfingsttag loben wir die „Schwarmintelligenz“, die Gott seiner Gemeinde in den Bauplan gezeichnet hat und die uns Gottes Heiliger Geist im Lauf der Zeiten immer wieder neu vermittelt.

Schwarmintelligenz allein ist aber der Gemeinde nicht vorbehalten. Sie ist überall am Werk, wo unterschiedliche Menschen zusammenfinden, die spüren, wie stark der Einzelne werden kann, wenn er sich bindet und verbindet. Aber nicht immer ist ein Geist, der solche Gruppen schafft, ein guter! Das ist unter uns Menschen der große Unterschied zum Fischschwarm, der sich ohne Hintergedanken findet und nicht von bösen Geistern dominiert werden kann. Die Gabe, die Geister zu unterscheiden, ist deshalb eine der wichtigsten Gaben des Heiligen Geistes überhaupt!

Gottes Geist ist gut. Er uniformiert nicht, er ermöglicht Leben, das kein Leben nimmt.  Dass dieser Geist immer wieder und immer noch weht durch Gebäude und Gedanken, trotz theologischer Irrtümer und menschlicher Schuldgeschichten, trotz Wirtschafts- und Glaubwürdigkeitskrise, ist die einzige Konstante, auf die Gemeinde bauen kann.  Was wären wir ohne Pfingsten, auch wenn wir dieses Fest viel zu wenig präsent haben?

Ohne den Heiligen Geist ist Gott fern,
bleibt Christus in der Vergangenheit,
ist das Evangelium ein toter Buchstabe,
die Kirche ein bloßer Verein,
die Autorität eine Herrschaftsform,
die Mission Propaganda,
die Liturgie eine Geisterbeschwörung
und das christliche Leben eine Sklavenmoral. [i]

Der Geist ist es, der verbindet, was zusammengehört, aber von allein nie zusammenfindet: Gott, der Auferstandene, wir Menschen. Der Geist ist es, der die einzeln Schwachen zu einem Ganzen führt, das der Angst vor großen Fischen spottet und in dem Trost ist. Der Geist ist es, der alle Bewegungen, alle Fähigkeiten und Gaben, alles Strahlen und Glänzen so koordiniert, dass ein Gemeinsames entsteht, das mehr ist als die Summe dessen, was zusammenkommt. Ein Gemeinsames, das Form hat und Dauer - das sich aber auch erneuern, re-formieren, kann und soll, wenn es Not tut.

Die „Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen“

Der Skandal, dass Kirchen, dass Glaubensgeschwister getrennte Wege gehen, obwohl sie doch den einen Gott zum Vater, den einen Jesus Christus zum Herrn und den einen Geist zum Tröster haben, ist nur ein vorläufiges Ärgernis.  Gottes Gott formt sich auch heute intelligent seine Schwärme, wenn das Evangelium neue Formen braucht: Re-formation ist im Gange!

An einem kalten Februartag im Jahr 2006 veränderten acht glaubensstarke Frauen und Männer die Richtung der weltweiten Ökumene. [ii] Damals trafen sich zwei Vertreter reformierter Weltorganisationen in Grand Rapids, USA, um eine engere Verbindung zu erörtern. Sie sprachen für ihre jeweilige Organisation, für den „Reformierten Weltbund“ und für den „Reformierten Ökumenischen Rat“ – zwei reformierte Kirchenbünde, die jahrzehntelang und oft zerstritten getrennte Wege gingen. Was sich dann aber entwickelte, war nicht die Absprache intensiverer Kooperation, gegenseitiger Beratung und freundlichen Nebeneinanderhers, sondern der radikale Vorschlag für eine neue ökumenische Weltorganisation: die „Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen“.

Vom 18. bis zum 28. Juni diesen Jahres, also in gerade einmal vier Wochen, findet nun, wieder in Grand Rapids, die „Vereinigende Generalversammlung“ satt. Die Menschen, die beim ersten Gespräch dabei waren, sagen, eine Macht größer als ihre eigene Kreativität sei da am Werke gewesen. Der Präsident des Reformierten Weltbundes (Clifton Kirkpatrick) ist sich sicher: „Es war der Heilige Geist, der diese Bewegung in Grand Rapids auf den Weg gebracht hat.“ Die „reformierte Weltfamilie“ rückt zusammen. „Eine solche Annäherung ist ein starkes christliches Zeichen in einer Welt, die durch Zersplitterung und selbstbezogenen Individualismus gekennzeichnet ist und deckt den Skandal der Trennungen auf“, fügt ein weiterer Mitinitiator (Setri Nyomi) hinzu.

Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens [iii] – unter diesem biblischen Motto wird der Gründungskongress stattfinden. Etwa eintausend Delegierte, Gäste und Freiwillige werden die historische Vereinigung auf den Weg bringen, und die „Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen“ wird dann für 80 Millionen Mitglieder aus 230 Kirchen in 107 Ländern stehen: „Gott will, dass wir eins sind“ (Clifton Kirkpatrick).

Ein Schwarm von 80 Millionen

Auch wir sind in dieses pfingstliche Geschehen eingebunden – im Geist und durch das Band des Friedens. Als Gemeinde im „Bund evangelisch-reformierter Kirchen in Deutschland“ sind wir Mitglied im „Reformierten Bund“ und über diesen wiederum Mitglied im ehemals „Reformierten Weltbund“ - und deshalb nun auch in der „Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen“. 80 Millionen Mitglieder aus 230 Kirchen in 107 Ländern und in einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller: Ein Schwarm von 80 Millionen Menschen!

Gottes Geist wirkt in und mit ihnen, in und mit uns – in einem jeden zum Nutzen aller: in Menschen aus Afrika, Asien, Amerika und Europa, Armen und Reichen, Heiligen und Zweiflern, Männern und Frauen, Jungen und Alten, Kindern und Eltern, Kopf- und Handmenschen, Starken und Schwachen, Frohnaturen und den Stillen im Lande – in einem jeden, in einem Schwarm von 80 Millionen.

Wer sagt ihnen, wo je ihr Ort ist? Wer fügt die einzelnen so zusammen, dass sie ein Leib sind? Wer bündelt die viele Gaben auf das eine Ziel hin: Leben in Gerechtigkeit, das kein Leben nimmt?

Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott,
der da wirkt alles in allen.

Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist
und teilt einem jeden das Seine zu – 80 Millionen Menschen,
wie er will.

ER will!

Amen.