Die Hafertonne

Predigt zu Lukas 8, 4-8 am Sonntag Sexagesimae, 7. Februar 2021


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Von Kathrin Oxen

Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus jeder Stadt zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf. Und anderes fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und anderes fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's. Und anderes fiel auf das gute Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Die Tonne ist fast so groß wie ich. Sie steht auf dem Gang im Kuhstall. Sie ist fast bis zum Rand gefüllt. Hafer ist darin, Futter für die Hühner. Ich muss mich auf die Zehenspitzen stellen, um über den Rand langen zu können. Ich liebe es, meine Hände hinein zu graben und das glatte Fließen der Körner zu spüren. Einmal überlegen, wie viele das wohl sind - unmöglich. Unmöglich auch, im Hafer ein Loch zu graben. Ich versuche es immer wieder mal, aber die Körner rutschen nach. Sie füllen wieder auf, was meine Hand aushöhlen will. Den Boden der Tonne habe ich nie erreicht.

Dann nehme ich die große Schaufel und fülle, wie es mir aufgetragen ist, den kleinen Eimer. Draußen warten die Hühner. Sie übersehen keines der Körner, die ich nicht zählen konnte. Schnell picken sie die hellen Körner von der dunklen Erde des Hühnerhofs. Aber dort hinter dem Zaun ist etwas aufgegangen. Die Rispen des Hafers, noch grün, bewegen sich leicht. Aus jedem Korn ein Halm, an jedem Halm eine Rispe. In der Hafertonne ein Feld, in den Körnern eine Ernte.

Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. So fangen Märchen an. Es war einmal. Den Sämann, der mit weitem Schwung das Saatgut auswirft, gibt es nicht mehr. Im Garten wird nicht so gesät. Das teure Saatgut wird aus dem Tütchen in sorgfältig vorbereitete Rillen gelegt. Selbst die Rasensaat wird mit System ausgebracht, damit ein schöner gleichmäßiger Rasen dabei herauskommt. Und auf den Feldern legen die Maschinen die teure Saat direkt in die Erde. Meine Sache ist das nicht. Ich liebe das Gefühl, meine Hand in die Fülle der Körner graben zu können. Ich liebe den Schwung. Säen ist Fülle und Schwung und Verschwendung. Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Der Same ist das Wort Gottes.

In meiner Kindheit war es eine Hafertonne, deren Boden ich nie gesehen habe. Eine Erfahrung von Fülle, von Unerschöpflichkeit, die ich genossen habe und die mich bis heute begleitet. Heute ist meine Hafertonne die Bibel. Ich finde in den Wörtern und Sätzen, den Geschichten und Texten das Wort Gottes. Dieses Wort spricht alles aus und spricht alles an, was es über mein Leben zu sagen gibt. Es spricht von Freude und Traurigkeit, es erzählt von Liebe und Hass, es redet von Hoffnung und Zweifel. Egal, wie tief ich auch grabe, ich erreiche den Boden nicht. Immer rutscht etwas nach. In den Tiefen meines Lebens spüre ich, wie die Worte der Bibel auffüllen und ausfüllen, was sonst quälend leer bliebe. Mit einem Psalmwort, auch mit dunklen Klagen. Und für den Reichtum und die Schönheit des Lebens sind da auch Worte, für die Liebe und das Lob.

Deswegen kann ich auch tun, was mir aufgetragen ist. Ich nehme von dem, was in Fülle vorhanden ist und streue es aus, mit Schwung und ohne Angst vor Verschwendung. Was Menschen von Gott erzählen können, wird nicht in kleinen Tütchen verpackt und verkauft, sondern großzügig verstreut. Es gehört mir ja auch nicht, das Wort. Es geht durch unsere Hände, kommt aber her von Gott. Und einiges davon fällt auf den Weg und wird zertreten oder aufgefressen. Es geht nicht auf. Einiges geht auf, wächst aber nicht, weil es keine Feuchtigkeit hat. Einiges geht auf und wächst, aber bringt keine Frucht, weil es erstickt wird von den Dornen. Und einiges geht auf und wächst und bringt Frucht, hundertfach.

Das sind unterschiedliche Erfahrungen mit dem Wort Gottes. Der Weg, auf dem dieses Gleichnis gedeutet wurde, ist sehr ausgetreten. Dann aber kann da gar nichts Neues mehr wachsen, wenn man die unterschiedlichen Schicksale der Saatkörner werden auf unterschiedliche Menschen bezieht. Aber kann man Menschen so kleingärtnerisch beurteilen? Lassen sie sich einteilen und bewerten, wie man den Boden einteilen und bewerten kann? Bodenpunktzahlen möchte ich den Landwirten überlassen und keine Bewertungen des Glaubens anderer Menschen abgeben.

Es ist anders: In Wahrheit fällt der Same auf ein Feld, auf das wilde Feld unseres Herzens. Da gibt es festgetretene Wege und steinige Ecken, da wuchert Kraut, dessen Namen ich nicht einmal kenne und da ist tiefer, guter Boden. Auf dem wilden Feld unseres Herzens geschieht etwas mit dem Samen, der von Gott kommt. Manches kommt überhaupt nicht an. Zu offensichtlich liegt es an der Oberfläche, mitten auf dem Weg, leicht sichtbar, aber dadurch auch sehr gefährdet. Da, wo das Feld unseres Herzens hart geworden ist, kann der Same nicht aufgehen. Wo im Herzen die ausgetretenen Wege verlaufen, das weiß jeder von uns selber am besten. Und auch, wie diese Wege ausgetreten wurden. Dort kann einfach nichts mehr Wurzeln schlagen. Und mancher hoffnungsvolle Keim verdorrt, wenn er auf harte Erfahrungen des Lebens stößt. Solche harten Erfahrungen mit Gott zusammen zu bringen, das ist schwer. Manche Menschen haben ein Feldstück im Herzen voller Steine, kleinere und große. Ein steiniger Boden, dem man eine Ernte regelrecht abringen muss. Und man kann ihnen ansehen, wie sie ackern müssen in ihrem Herzen.

Und da, wo alles wächst und ins Kraut schießt – da wächst einfach alles. Die Sorgen, der Reichtum und die Freuden des Lebens können alles andere leicht überwuchern, vor allem den Glauben. Der Halm, der von Gott ist, muss sich behaupten. Und es gibt den guten Boden im wilden Feld unseres Herzens. Dort liegt der Same, zunächst einmal verborgen. In dieser Zeit bekommt er seine Wurzeln und niemand kann das sehen, nicht einmal wir selbst. Nach außen hin passiert nichts, aber in der Tiefe ändert sich alles.

Was einem aufgehen kann von dem Samen, der einmal gesät worden ist. Was einem aufgehen kann von Gott. Worte, Geschichten, ein Satz nur, viele Male gehört, gesagt, erzählt und doch nie auf dem tiefen guten Boden meines Herzens gelandet. Und auf einmal gerät etwas an die richtige Stelle und treibt aus und wächst, dass es eine Freude ist. Einzelne Körner, wenige Halme und eine überaus reiche Ernte.

Ein wildes Feld ist unser Herz. Und es trägt Frucht. Was für ein Wunder, bei allem, was zertreten wird im Leben und weggefressen, was nach kurzer Zeit eingeht und nicht zur Reife kommt. Das kann nur geschehen, weil der Samen so reichlich vorhanden ist, weil er immer wieder auf uns geworfen wird, hoffentlich mit viel Schwung und ohne Angst vor Verschwendung. Das geschieht, weil wir eben nicht einzuteilen sind in die Festgetretenen und die Harten und die mit dem Wildwuchs und die mit den geraden Furchen. Das kann geschehen, weil jeder von uns alles ist. Und alles hat im wilden Feld seines Herzens.

Ich bin ja ein Bauernkind, ich mit meiner Hafertonne. Und leider keine Bäuerin geworden, sondern Pfarrerin. Aber manchmal denke ich: Ist nicht so schlimm. Denn säen kann ich trotzdem. Ich greife in die Hafertonne von Gottes Wort und werfe es überall aus. Im Gottesdienst natürlich. Beim Bibelgespräch, wo wir uns ohne große Mühe einen ganzen Abend über ein paar Verse aus der Bibel unterhalten können, wo immer etwas nachrutscht und wir diesen Reichtum gar nicht fassen können. Auch in den Predigten, die per email kommen oder mit der Post. Bei den Kindern im Kindergarten. Sie sind wie kleine Beete, wenn ich ihnen jede Woche eine biblische Geschichte erzähle.

Ich werde nie erfahren, was einmal davon aufgeht in ihren kleinen Herzen. Aber ich glaube, dass es etwas sein wird. Und sehr oft säe ich an den Gräbern. Da stehe ich dann und die Erde ist aufgegraben und so dunkel. Wie helle Körner fallen die Worte aus der Bibel darauf. Jedes Mal fallen sie dabei auch in mein Herz. Und dann stehe ich da wie auf gutem Land. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld. (Lk 8, 15).

Amen


Kathrin Oxen