Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1492-1549)
Ludwig XII. versuchte mehrmals, Marguerite als Braut in Europa zu verhandeln, aber weder ihre Aussichten, noch ihr Vermögen waren ausreichend, um eine internationale Ehe einzugehen. Stattdessen heiratete sie 1509, gerade siebzehn Jahre alt, den Herzog von Alençon, von dem wenig bekannt ist. Die Forschung geht meistens davon aus, dass sie und ihr Gatte wenig Gemeinsames hatten, zumal der Herzog vor Allem ein Soldat war. Dafür hatte sie aber eine geliebte Schwiegermutter, Marguerite von Lorraine, die eine zutiefst fromme Frau war. Jahre später schrieb Marguerite über ihren Tod und ließ ihre Trauer darüber durchblicken.
Als Ludwig XII. befürchten musste, nicht selbst Söhne zeugen zu können – er hatte „nur“ zwei Töchter, Claude und Renée de France – holte er Franz d´Angoulême an seinem Hof und gab ihm seine Tochter Claude zur Ehe. 1515 verstarb er und Franz bestieg als Franz I. den Thron Frankreichs.
Für Marguerite änderte sich das Leben schlagartig. Sie kam zu ihrem Bruder an den Hof, und da die Königin Claude sehr zurückhaltend und scheu war, übernahm sie bald die repräsentativen Pflichten. Zusammen mit ihrer Mutter bildete sie mit Franz ein Trio, die sogenannte „Dreieinigkeit“. Franz konnte immer mit seiner Mutter und seiner Schwester rechnen, und sie unterstützten ihn nach Kräften.
Franz I. wurde der erste Renaissancekönig Frankreichs. Er war jung, viril und plötzlich auch reich. Er ließ bauen an der Loire, eroberte das Herzogtum Mailand, versuchte sich als Deutschrömischer Kaiser wählen zu lassen – das war eine extrem teure Angelegenheit – und verwickelte sich in Rivalitäten sowohl mit Heinrich VIII. von England als auch mit Kaiser Karl V.
Schon 1516 verhandelte er ein Konkordat mit dem Pabst in Bologna. Die französische Kirche hatte seit dem Mittelalter ihre gallikanische Freiheiten gegenüber dem Pabst verteidigt, und als Frankreich sich als Nationalstaat festigen konnte und mit Franz I. fast die Grenzen erreicht hatte, die noch heute gelten, gelang es auch Franz, eine römisch-katholische Nationalkirche zu vereinbaren. Vor allem durfte er wichtige Posten in der Kirche mit seinen Kandidaten besetzen, die dann vom Pabst anerkannt wurden. Damit war die französische Kirche ihrem König treu ergeben, nicht desto weniger war sie streng katholisch, besonders die Fakultät der Theologie der Universität von Paris (oft abgekürzt Sorbonne genannt) wachte über die reine katholische Lehre. In den Jahren 1515 bis 1534 war Franz theologisch eher liberal und pfiff die eifrigen Theologen zurück, nach 1534 machte er mit ihnen gemeinsame Sache.
In Frankreich bildeten sich Kreise von Reformkatholiken und Humanisten, die der etwas verkrusteten katholischen Theologie kritisch gegenüberstanden. Sie forderten die Bibel in der Muttersprache und in den Händen von Laien. Sie kritisierten Heiligenkult und Reliquienverehrung, und versuchten eine Erweckung der Gläubigen im Sinne vom reformatorischen „sola fide, sola scriptura“ (= durch den Glauben allein und durch die Heilige Schrift allein) herbeizuführen. Der leitende Humanist war der alte Lefèvre d´Etaples (Faber Stapulensis), der nach Jahren als Herausgeber klassischer antiker Schriften endlich bereit war, die Heilige Schrift zu übersetzen. Er wurde unterstützt von Guillaume Briçonnet, Bischof von Metz. Dieser führte Reformen in seiner Diözese durch, legte die Bibelübersetzung des Lefèvre in den Kirchen aus, verjagte die Franziskaner, die sonst fast Predigtmonopol besaßen, und ließ durch seine eigene Leute „reformatorisch“ predigen. Unter ihnen waren Gérard Roussel, der später Hofkaplan bei Marguerite wurde, Guillaume Farel, der später in Genf als Reformator zusammen mit Calvin wirkte, und Simon Robert, der die frühere Nonne Marie Dentière heiratete und auch in die Schweiz zog.
Als katholischer Bischof wollte Briçonnet nicht die katholische Kirche umstürzen oder dem Pabst die Treue kündigen, er wollte dagegen die Kirche von innen erneuern. Er gehörte dem Reformkatholizismus an, der in Frankreich oft als „évangelisme“ bezeichnet wird, mit dem deutschen Wortbrauch „evangelisch“ aber wenig zu tun hat. Die Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Lefèvre d´Etaples wollten zu den Quellen zurück, sie wollten die Bibel allen zugänglich machen, sie hatten von Paulus gelernt, dass Rechtfertigung durch den Glauben geschieht, aber er sah das alles nicht als Grund, die Einheit der Kirche auf Spiel zu setzen. Diese Männer prägten Marguerite.
An Bischof Briçonnet wandte sich Marguerite mit der Bitte um geistigen Beistand. Ein Briefwechsel folgte, der sich (nachweislich) über die Jahre 1521 bis 1524 erstreckte. Der Bischof schrieb lange Homilien, und Marguerite bat ihn ständig um mehr „seelische Nahrung“. Sie verwendete vermutlich seine schriftlichen „Predigten“ als Grundlage für Andachten mit ihren Hofdamen. Abschriften ließ sie in ihrem Freundes- und Verwandtenkreis verteilen .
Briçonnet legte ihr die Bibellektüre ans Herz, mit besonderer Wertschätzung der Paulinischen Briefe. Nebenbei sei bemerkt, dass sowohl Luther als auch Calvin in jungen Jahren den Römerbrief auslegten, denn wer Erneuerung für die Kirche erhoffte, kam um Paulus nicht herum. Das Besondere bei Briçonnet war allerdings sein Hang zur Innerlichkeit, die Liebe zwischen Christus und der Seele, die Aufgabe des Selbst und das Hinschmelzen in Christus. Gute Werke, der Verdienst der Heiligen, Fasten und Pilgern kamen bei ihm dagegen nicht vor.
Für Marguerite bedeutete diese religiöse Erneuerung, dass sie anfing, geistliche Gedichte zu schreiben, ihre poetische Ader wurde freigelegt. Das erste Gedicht handelt von einer nächtlichen Vision. Ihre Nichte – die Tochter ihres Bruders – starb 1524 mit acht Jahren, und Marguerite fragt die reine Seele, was sie glauben soll. Der Antwort ist klar, sie soll Christus allein lieben und glauben. Briçonnet hätte es nicht besser ausdrucken können.
In diesen Jahren wurden Luthers Schriften in Frankreich verbreitet und wir wissen mit Sicherheit, dass Marguerite seine Schriften kannte. Die theologische Fakultät der Universität von Paris leistete Widerstand gegen die lutherische Ketzerei und das bekam Bischof Briçonnet zu spüren. In seinen Briefen an Marguerite bat er sie wiederholt um Unterstützung und besonders darum, dass sie ihren Bruder und ihre Mutter für seine Reformen gewinnen möge. Marguerite hatte zwar großen Einfluss auf ihren Bruder, aber trotzdem musste Briçonnet alle seine Reformvorhaben aufgeben. Die Gruppe um ihn flüchtete nach Straßburg, während er selbst widerrufen musste. Er starb kurze Zeit später.
1524 starb Königin Claude, und Marguerite wurde mit der Aufsicht der königlichen Kinder betraut. Aus ihrem Briefwechsel wissen wir, wie sehr diese Kinder ihr ans Herz wuchsen. Ihre Ehe blieb kinderlos – ihre Trauer darüber vernimmt man in den Briefen an Briçonnet – und jetzt konnte sie ihre mütterlichen Gefühle den Kindern ihres geliebten Bruders zu Gute kommen lassen.
1525 verlor Franz I. die Schlacht bei Pavia in Norditalien. Seit vielen Jahren, schon in der Regierungszeit Karl VIII. hatte Frankreich mit den italienischen Stadtstaaten Krieg geführt. Jetzt stießen in Italien die habsburgischen und die französischen Truppen zusammen. Die Blüte des französischen Adels wurde an einem Tag vernichtet, und Franz selbst wurde gefangengenommen. Der Herzog von Alençon flüchtete vom Schlachtfeld und starb wenige Monate später, von seiner Gattin liebevoll gepflegt.
Jetzt schlug die Stunde für Marguerite. Mit ihrer Mutter hatte sie in Lyon den Ausgang des Krieges abgewartet, und nach dem Tod ihres Gatten ließ sie ihre Mutter als Regentin Frankreichs zurück, sie selbst segelte und ritt zu ihrem Bruder, der schwer krank in Madrid im Gefängnis lag. Sie pflegte ihn wieder gesund und versuchte mit dem unerbittlichen Kaiser Karl V. zu verhandeln. Sowohl sie als auch Franz dachten, dass der ritterliche Ehrencodex seine Befreiung möglich machen würde, Karl war aber auf handfeste Vorteile aus. Am Ende versprach Franz alles, um freizukommen, fuhr nach Hause, gab seine Söhne quasi als Unterpfand dem Kaiser und musste eine Riesensumme als Lösegeld aufbringen.
Als Regentin hatte die streng katholische Louise von Savoyen die französische Kirche in ihrem Kampf gegen die „Ketzer“ unterstützt, deshalb war auch keine Hilfe für Briçonnet und seine Leute zu erwarten. Nach der Rückkehr Franzens war er noch abhängiger als zuvor von der Kirche, nur sie konnte ihm mit dem Geld, das er dem Kaiser schuldete, versorgen. Anders als die deutsche Fürsten, die sich sehr wohl handfeste Vorteile von der Reformation in ihren Ländern erhoffen konnten, hatte der französische König schon eine (katholische) Nationalkirche, die ihn kräftig unterstützte, natürlich in der Annahme, dass er keine „Ketzer“ dulden würde.
Marguerite war eine noch junge Witwe, und ihr zweiter Gatte war ein junger, strahlender Held: Henri d´Albret, König von Navarra. Er hatte sich in der Schlacht von Pavia tapfer geschlagen, war gefangen genommen worden, hatte sich aber in einer „Mantel und Degen Aktion“ buchstäblich erfolgreich abgeseilt. Er war zudem ein Frauenheld und 12 Jahre jünger als Marguerite. Sein Königreich war winzig: das Königreich Navarra war ursprünglich das, was wir heute das Baskenland nennen, ein Gebiet, das sich beidseitig über den Pyrenäen erstreckte, jedoch sein Schwerpunkt auf der Südseite der Bergkette mit Pamplona als Hauptstadt hatte. Die Albrets, als südfranzösische Großgrundbesitzer, waren durch Heirat an die Krone gekommen, nur um erleben zu müssen, dass Spanien 1512 der Gebiet um Pamplona eroberte. Damit schrumpfte das Königreich auf Basse-Navarre zusammen, der französische Teil des Baskenlandes. Da er auch Vicomte von Béarn war, eine unabhängige Grafschaft mit eigener Regierung und Generalständen, hatte er dennoch sein eigene Hausmacht. Er erwartete, sozusagen als Mitgift, dass Franz ihm helfen würde, ganz Navarra zurückzuerobern. Franz dagegen erwartete, dass er die Grenze gegen Spanien verteidigen würde und machte ihn zum Oberbefehlshaber in Guienne, eine Bezeichnung für Südwestfrankreich von den Pyrenäen bis Loire, vom Atlantik bis Auvergne.
Was Marguerite erwartete, wissen wir nicht. Ihre Ehe bedeutete für sie eine Zerreißprobe zwischen dem geliebten Bruder und dem Ehemann, und es war für sie nicht einfach, beiden gegenüber loyal zu sein.
Ihre Ehe bedeutete aber auch, dass sie endlich Mutter wurde. 1528 gebar sie ihre Tochter, Jeanne d´Albret, danach einen Sohn, der kurz nach dem Geburt starb, und dann – sie wurde ja nicht jünger – hatte sie eine Reihe von Fehlgeburten und Scheinschwangerschaften.
Als Königin mit eigenem Herrschaftsgebiet konnte sie jetzt Glaubensflüchtlingen Schutz bieten. Bei ihrem Bruder trat sie immer noch für Andersdenkende ein, sie konnte aber jetzt in Bourges luthersche Studenten und Dozenten an die Universität holen, sie brachte den alten Lefèvre d´Etaples bei ihrem Hof in Nérac unter, sie machte Gérard Roussel zum Bischof von Oloron, und sie stellte als Sekretäre bekannte humanistische Skribenten ein, unter ihnen Clément Marot, Dichter und Verfasser vom ersten gereimten französischen Psalter.
Anfänglich blieben sowohl sie wie ihr Gatte am Hofe. Sie verhandelte zusammen mit ihrer Mutter und Margaretha von Habsburg, Statthalterin der Niederlande, den sogenannten Damenfrieden von Cambrai aus. Sie empfing Botschafter, verhandelte mit dem Pabst, und hatte immer noch die Aufsicht über die königlichen Kinder. Sie reformierte Klöster überall in Frankreich, ihre Lektüre der Lutherschrift „Von den Mönchsgelübden“ hatte sie nicht dazu gebracht, die Klöster abzuschaffen, sondern eher Missstände abzubauen.
1531 veröffentlichte Marguerite ihr religiös-poetisches Werk „Ein Spiegel der sündigen Seele“. Die zweite Ausgabe 1533 wurde von der Sorbonne als ketzerisch verurteilt und verboten. Wütend verlangte Franz I. die Rücknahme der Verurteilung, und die Universität fügte sich schleunigst. Als dann, 1534, die Plakataffäre mit ihrem Angriff auf die Messe und das katholische Abendmahlverständnis die Gemüter erregte, ging sie nach Südfrankreich. Dort konnte sie unter Anderen einem Flüchtling, dem jungen Calvin, weiterhelfen. Sie hatte seit jungen Jahren freundschaftliche Beziehungen zu ihrer Cousine, Renée de France, Herzogin von Ferrara, gepflegt, und jetzt schickten die zwei gleichgesinnten Verwandten einander hilfsbedürftige Glaubensflüchtlinge zu.
In den nächsten Jahren war das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester etwas abgekühlt. Franz I. unterstützte die römisch-katholische Kirche nach Kräften, und Marguerite war vorsichtig geworden. Als der Berater des Königs ihn aber fragte, ob Gefahr bestünde, Marguerite könne zum Protestantismus übertreten, erwiderte der König: „Dafür liebt sie mich zu sehr!“, und behielt Recht damit.
Die Ruhe und Abgeschiedenheit am Hofe bedeutete für Marguerite Zeit für eine rege schriftstellerische Tätigkeit. Die religiösen Gedichte waren wohl eher eine Art meditative Übung inmitten der oberflächlichen Geschäftigkeit des Hofes. Jetzt verfasste sie Schauspiele, die am Hof aufgeführt wurden. Angeregt durch die Beschäftigung mit den Schriften des Plato, die sie durch den italienischen Humanisten Pico della Mirandola und Marsilio Ficino kennengelernt hatte, dachte sie über das Wesen der Liebe nach, und ihre schriftstellerische Tätigkeit wurde von diesen Überlegungen geprägt. Sie ließ Platos Schriften ins Französisch übertragen, so wie sie auch die Novellen von Boccaccio, „Dekameron“, übersetzen ließ. Diese Novellen beeinflussten ihre berühmteste Werk, die Novellen, aus denen das „Heptameron“ besteht, und die von ihr über einen längeren Zeitraum zusammengefügt wurden. Sie gab nur ein Buch in Druck, „Les marguerites de la Marguerite des princesses“, die Perlen der Perle (Marguerite) der Prinzessinnen, mitsamt dem Folgeband: „Suyte des marguerites“ (1547). Alle andere Schriften von ihr waren zu ihren Lebzeiten nur als Manuskript vorhanden, aber das Heptameron wurde ungefähr zehn Jahren nach ihrem Tod als Buch herausgegeben, und zählt seitdem zu den Klassikern des 16. Jahrhunderts, obwohl es oft missverstanden worden ist – dazu mehr später (vgl. Nielsen, Theologie als Erzählung).
Eine andere wichtige Angelegenheit in den letzten Jahren, ihr Verhältnis zu ihrer Tochter Jeanne, wird im Artikel über diese behandelt. In den letzten Jahren hatte sie eine Auseinandersetzung mit Calvin über die Freigeister, die sich bei ihrem Hof aufhielten. Ihre Bedeutung für die Reformation wird später untersucht. Klar ist allerdings, dass sie als Katholikin starb. Als ältere Frau zog sie sich immer öfters in Klöstern zurück und auch, wenn sie nie besonders rechtgläubig war, trat sie nie aus der Kirche aus. Sie starb 1549 auf ihrem Schloss Odos.
Marguerite d`Angoulême war eine hoch begabte, zutiefst fromme Frau. Sie ging unbeirrt ihre eigenen Wege, und auch, wenn sie diskret war, ließ sie sich nicht einschüchtern. Ihre Verdienste für die Verbreitung der Reformation sind offenkundig, und in Genf wusste Calvin sehr wohl, wie dankbar er ihr sein musste. Dabei war die geistige Freiheit ihr ohne Zweifel eine Herzensangelegenheit, während ihre Tochter und Enkelin mit Nachdruck Partei ergriffen. Zu Marguerites Zeiten waren diese geistige Freiheit und die Hoffnung, die katholische Kirche von innen zu erneuern und zu „reformieren“, ohne die Glaubensspaltung vollziehen zu müssen, noch möglich. Diese Umstände gaben ihr etwas Spielraum, den spätere Generationen nicht länger hatten.
Literatur
In Deutschland ist die Literatur zu Marguerite d´Angoulême übersichtlich. Zu erwähnen sind:
Margarete von Navarra: Das Heptameron, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1960, mit einem ausgezeichneten Nachwort von Peter Amelung. Neudruck München 1979, 1999 (dtv 12710)
Eltz-Hoffmann, Lieselotte von: Kirchenfrauen der frühen Neuzeit, Stuttgart 1995
Kraus, Claudia: Der religiöse Lyrismus Margaretes von Navarra, München 1981
Schönberger, Axel: Die Darstellung von Lust und Liebe im Heptaméron der Königin Margarete von Navarra, Frankfurt a/M 1993
Sckommodau, Hans: Die religiösen Dichtungen Margaretes von Navarra, Köln 1955
Sckommodau, Hans: Galanterie und vollkommene Liebe im „Heptaméron“, Münchener Romanistische Arbeiten, Band 46, München 1977
Sckommodau, Hans: Die spätfeudale Novelle bei Margareta von Navarra, Sitzungsbericht der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt, Bd. XIV, Nr. 4, Wiesbaden 1977
Zimmermann, Margarete: Der Salon der Autorinnen: französische „dames de lettres“ vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert, Berlin 2005
Stedman, Gesa & Zimmermann, Margarete: Höfe – Salons – Akademien, Hildesheim 2007
Hinzu kommt eine Übersetzung:
Febvre, Lucien: Margarete von Navarra. Eine Königin der Renaissance zwischen Macht, Liebe und Religion, Frankfurt a/M 1998 (Originaltitel: Autour de l´Heptaméron: Amour sacré, amour profane, Paris 1996)
Allgemeine Kirchengeschichte:
Strasser-Bertrand, Otto Erich: Die evangelische Kirche in Frankreich, in: Die Kirche in ihrer Geschichte, Göttingen 1975
In Frankreich zählt sie zu den wichtigen Renaissancedichterinnen. Eine vollständige wissenschaftliche Ausgabe ihrer Werke von Nicole Cazauran ist in Arbeit:
Marguerite de Navarre: Oeuvres Complètes, Paris 2001. Bisher erschienen:
Heptaméron, Paris 2000 und die Bände 1,3,4,8 & 9
Die klassische Biografie ist:
Jourda, Pierre: Marguerite d´Angoulême, duchesse d´Alençon, reine de Navarre (1492-1549), Étude biographique et littéraire, Paris 1930, Genf 1978
Jourda, Pierre: Répertoire analytique et chronologique de la Correspondance de Marguerite d´Angoulême, Duchesse d´Alençon, reine de Navarre (1492-1549), Paris 1930
Christine Martineau, Michel Veissière & Henry Heller: Guillaume Briçonnet/Marguerite de Navarre: Correspondance, 2 Bd., Paris 1975-79
Herminjard, Aimé, hrsg.: Correspondance des réformateurs dans les pays de langue française, Genf 1886-79
In Heptaméron, ed. Nicole Cazauran, ist weiterführende Literatur erwähnt. Hier verweise ich nur auf drei Kolloquien aus dem Jahr 1992:
Marguerite de Navarre, 1492-1992, Actes du Colloque international de Pau (1992), Mont-de- Marsan 1995
Etudes sur l´Heptaméron de Marguerite de Navarre, Colloque de Nice, 15-16 Fèvrier 1992, Uni.de Nice, o. J.
Marguerite de Navarre, Actes du colloque international du 14 au 16 septembre 1992, Lódź 1997
Karlsson, Britt-Marie: Sagesse divine et folie humaine, Etude sur les structures antithétiques dans l´Heptaméron de Marguerite de Navarre (1492-1549), Göteborg 2001
Montaigne: Oeuvres complètes, Paris 1962
Ausgewählte Literatur in englischer Sprache:
- Patricia F. Cholakian & Rouben C. Cholakian: Marguerite de Navarre, Mother of the Renaissance, New York 2006
- Cholakian, Patricia F.: Rape and Writing in the Heptameron, Carbondale 1991
- Cottrell, Robert D.: The Grammar of Silence, A Reading of Marguerite de Navarre´s Poetry, Washington D.C. 1985
- Davis, Betty J.: The Storytellers in Marguerite de Navarre´s Heptaméron, Lexington 1978
- Davis, Natalie Zemon: Society and Culture in Early Modern France: eight Essays, Stanford 1975
- Farge, James K.: Orthodoxy and Reform in Early Reformation France, The Faculty of Theology of Paris, 1500-1543, Leiden 1985
- Ferguson, Gary: Mirroring belief: Marguerite de Navarre´s Devotional Poetry, Edinburgh 1992
- Gelernt, Jules: World of Many Loves, The Heptameron of Marguerite de Navarre, Chapel Hill 1966
- Greengrass, Mark: The French Reformation, London 1987
- Salmon, J.H.M.: Society in Crisis, France in the Sixteenth Century, London 1975
- Tetel, Marcel: Marguerite de Navarre´s “Heptaméron”: Themes, Language and Structure, Durham N.C. 1973
Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Weltverständnis
Wie kann man dem Kreationismus argumentativ begegnen?
1. Das Problem
2. Ist der Kreationismus ein biblisches Konzept?
2.1 Wann sind sie Schöpfungsberichte entstanden?
2.2 Gibt es ein Darstellungsprinzip („Weltbild“) der Schöpfung?
2.3 In welchem Sinne ist die Schöpfung ein Anfang?
2.4 Kann die Theologie die Evolutionslehre akzeptieren?
3. Die These des Intelligent Design: ein versteckter Gottesbeweis?
3.1 Thema und Problem
3.2 Wo haben wir die „Wahrheit“ der Schöpfungsaussagen zu suchen?
Auf die Frage, wo in seiner Theorie der Planetenentstehung Gott vorkomme, soll der Mathematiker Laplace (1749-1827) Napoleon mit dem berühmten Diktum geantwortet haben: „Sire, ich habe diese Hypothese nicht nötig.“ Die Wissenschaft kommt ohne die Annahme eines Gottes aus. Der moderne Begriff des Wissens und der Wissenschaft hat sich seit Galilei in einer bewussten Absage an das theologische Wissen der biblischen Tradition formiert, und auch die moderne Theologie hat diese Absage in aller Form für rechtens erklärt: „Gott als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden … Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, diese Arbeitshypothese fallen zu lassen bzw. sie so weit wie irgend möglich auszuschalten“ (D.Bonhoeffer).[1] Doch damit steht der „mündige“ Christ vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Er sucht die Kluft zwischen Glaube und Wissen zu überwinden, doch seine Wissenschaft weist schon die Frage nach einem Gott als illegitim zurück. Es ist ein Dilemma, das Viktor von Weizsäcker schon zu Beginn des letzten Jh.s prägnant formuliert hat: „Wo kommt die Wissenschaft hin, welche zulässt, dass ein Gott zwischen unsere Experimente fährt, welche ein abweichendes Experiment als gottbefohlen hinnimmt? Wo aber kommt der religiöse Mensch hin, der in dem Augenblick, in dem er sein Laboratorium betritt, mit Hut und Stock auch seinen Gott an den Nagel hängt?“[2] Der Glaube fühlt, dass ihn ein empirisch begründetes Wissen bedrängt, dass seinen Worten keine greifbare (verifizierbare) Erfahrung mehr entspricht. Wer diese Spannung nicht auszuhalten vermag, entscheidet sich heute für die atheistische Version eines Richard Dawkins („Der Gotteswahn“): Naturwissenschaftliche Erklärungen der Welt und religiöse Weltinterpre- tationen seien unvereinbar. Der Kosmos und das Leben in ihm sind Produkte von Zufall und Notwendigkeit. Die Welt hat ihre Fugen geschlossen. Sie schweigt von Gott.
Der Preis für diese heute fast selbstverständlich gewordene Überzeugung ist jedoch hoch. Das Ungenügen an dem, was wir methodisch wissen und wissen können, wird von nachdenklichen Physikern mit einer erstaunlichen Offenheit eingestanden: „Weder in den Tiefen des Raums noch im Innern der Atome“, schreibt etwa Harald Fritzsch, hat der Mensch gefunden, was er mit all seinen Anstrengungen suchte, „Sinn für sein Dasein und die Möglichkeit, … ethische Werte und Ziele für sich abzuleiten“.[3] Auf der Bahn der objektiven, rationalen Erkenntnis „geht die Suche nach dem Sinn ins Leere“. Jürgen Audretsch, theoretischer Physiker aus Konstanz, hat diese Diagnose in aller Form bestätigt: „Von der physikalischen Kosmologie geht keine theologische Botschaft aus“.[4] Sie erzwingt keine theologischen Konzepte, legt sie nicht einmal nahe. Ganz abgesehen davon, dass der Theologe, der hier mit seinen Deutungsversuchen ansetzen wollte, den Physikern „etwas ganz und gar Unfertiges aus der Hand nehmen“[5] würde, hätte er auch die Bibel gegen sich, die mit ihrer Rede vom „Anfang“ (Gen 1,1) keine historisch-genetische Erklärung der Weltentste- hung geben will. Hier werden Tatsachen und Interpretationen verwechselt.
Das ist keine ermutigende Auskunft für einen Forscher, der auf wissenschaftlicher Basis nach einer Deutung der Welt sucht, die auch sein Bedürfnis nach einer sinnhaften, seine eigene Existenz mit umfassenden, vielleicht sogar erhellenden Weltorientierung zu befriedigen vermag. Die schmerzhafte Kluft zwischen dem medizinischen Fortschritt und einer Ethik, die das sprunghaft angewachsene technische Können in menschlichen Grenzen zu halten versucht, wenn es um den therapeutischen Eingriff in die Keimbahn geht, die Forschung an und mit Stammzellen oder die Lebensverlängerung eines todkranken Patienten, steht uns heute deutlich genug vor Augen. Man begreift die Anziehungskraft, die die „alternativen“, an den Rändern der Wissenschaft angesiedelten Deutungsversuche des Kreationismus und des Intelligent Design auf viele Menschen ausüben, wohl erst dann, wenn man sie auf diesem Hintergrund ernst zu nehmen versucht. Die Geschwindigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts steht in einem genauen Verhältnis zu unserer Hilflosigkeit, uns in dieser Welt der „zweiten Schöpfung“ zu orientieren. Diese Problematik unseres Wissenschaftsbetriebs anzusprechen, ist sicher eine legitime Aufgabe auch des schulischen Physik- und Biologie – Unterrichts. Eine ganz andere Frage ist es, ob diese Versuche haltbar sind.
Der besonders in den USA zu weltanschaulicher Geltung gekommene Kreationismus sucht den Ursprung irdischen Lebens in Entsprechung zu einem wörtlichen Verständnis von Gen 1 und 2 als göttliche Setzung zu begreifen (wogegen der Theologe noch keinen Einspruch erheben wird), verbindet diese Verständnis aber mit einer fundamentalen Absage an den Gedanken einer Evolution. Er bemüht sich stattdessen darum, wissenschaftliche Beweise für die biblische Darstellung vom Ursprung des Lebens aufzubieten. Wir haben zu prüfen, ob dieser Weg seinem Anspruch gemäß tatsächlich als ein biblisches Konzept gelten kann. Die These des Intelligent Design ist dagegen ein sehr viel reflektierterer Versuch, mit den geschilderten Problemen umzugehen. Ohne die Evolution zu bestreiten, will sie in kritischer Absicht zeigen, dass die bekannten Gesetze der Physik und die Prinzipien Darwins nicht imstande sind, die Entwicklung des Lebens hinreichend zu erklären, dass vielmehr dem Entstehen und Werden der Welt ein „geistiger“, göttlicher Bauplan zugrunde liegen muss, der die gesamte Entwicklung ermöglicht und trägt und auf ein Ziel hin ausrichtet. Johannes Kepler, aber auch modernen Physikern wie Max Planck oder Werner Heisenberg war diese Fragestellung selbstverständlich.[6] Doch kann man auf diesem Wege Gottes Wirken in der Welt plausibel, geschweige denn evident machen?
Wo also liegt das Problem? An der Einheit der Wirklichkeit, die der Physiker mit dem Theologen teilt, kann man vernünftigerweise nicht zweifeln. Die Relativitätstheorie redet von demselben Universum wie der der 8. und 104. Psalm unserer Bibel. Das Standardmodell der Kosmologie fragt nach dem Anfang derselben Welt wie das erste Kapitel der Genesis. Aber sie tun es auf eine denkbar verschiedene Weise, in einer unterschiedlichen Sprache und mit einer unterschiedlichen Absicht. Die Einheit der Wirklichkeit zerfällt über dem Versuch, sie zu verstehen, in zwei verschiedene Welten.[7] Es sind nicht erst die inhaltlichen Ergebnisse der neuzeitlichen Wissenschaft und das daraus resultierende „Weltbild“, die uns von den biblischen Berichten trennen; es sind – weit folgenreicher – bereits ihre Fragestellungen und Methoden. Es gibt Fragen, allen voran die nach der Entwicklung des Kosmos und des Lebens in ihm, die sich im Horizont der Antike und so auch der Bibel nicht einmal hätten stellen lassen. Können wir überhaupt voraussetzen, dass im Sprachraum der Bibel und im Horizont heutiger Biologie und Physik dasselbe erfahren wird, so dass hier ein unbegründbarer Glaube gegen ein sich ausweisendes Wissen steht, oder wird die Situation nicht angemessener beschrieben, wenn man davon ausgeht, dass hier zunächst einmal Erfahrung gegen Erfahrung steht? Dann jedenfalls lässt sich die offenkundige Spannung kaum so auflösen, dass man die Symbole der Schöpfungstheologie, das anfängliche „Wort“ oder die tätige „Hand Gottes“, in den Kontext der Physik hineinzuinterpretieren versucht und sie damit erst recht zu unverständlichen Fremdkörpern macht.
Harald Fritzsch nennt die „Welt“ des Glaubens und die „Welt“ der Naturwissenschaft „komplementäre Welten, die sich gegenseitig bedingen“.[8] Ich will dieses Angebot aufnehmen, auch wenn es sich nicht befriedigend einlösen lässt. Denn unter Komplementarität verstehen Physiker den Sachverhalt, dass zwei Begriffe, die derselben Theorie angehören, „nicht gleichzeitig benutzt werden können, gleichwohl aber beide benutzt werden müssen“.[9] Die Aussagen des Glaubens und die Aussagen der Wissenschaft gehören jedoch nicht derselben Theorie an, wohl aber beziehen sie sich auf denselben Gegenstand, unseren Kosmos und das Leben in ihm, und so tritt auch hier ein ähnliches Dilemma auf: Wie in der Physik Zustände mit bestimmtem Ort und Zustände mit bestimmtem Impuls „nicht zugleich“ vorliegen können, da jeweils nur eine der beiden Größen messbar, nur ein Zustand „scharf“ ist, so können auch wir nur eine der beiden „Welten“ scharf ins Auge fassen, entweder die des Glaubens oder die des Wissens, nie aber, was wir so gerne wollen, beide zugleich.
Hinter diese Situation gibt es kein Zurück, seit die neuzeitliche Methode so entworfen ist, dass sie von der Existenz und Wirksamkeit Gottes völlig absehen kann (ohne darum freilich sein Dasein schon bestreiten zu müssen). Es lässt sich dafür sogar ein präzises Datum angeben: Seit Descartes die Zweckursachen (Finalität) aus dem Kanon brauchbarer (und zulässiger) Methodenregeln gestrichen hat[10], ist die Brücke eingestürzt, über die Jahrhunderte lang der Weg von der Welt zu Gott geführt hat.[11] Wir sprechen von einem methodischen Atheismus, und das impliziert: Religiöse Deutungen der Naturgesetze haben „jeden logisch zwingenden Zusammenhang mit dem Begriff des Naturgesetzes selbst“ verloren.[12] Damit ist das Band, das die wissenschaftlich erkennbare Natur an einen göttlichen Ursprung binden könnte, definitiv durchschnitten. Diese Einsichten lassen nur einen Schluss zu: Wissen- schaftlich – das Wort in seiner heutigen, strengen Bedeutung genommen – ist der Kreationismus ein unhaltbares Unternehmen. Wie aber steht es mit seinem Anspruch, das biblische Zeugnis der Schöpfung von Himmel und Erde sachgemäß zu interpretieren?
2. Ist der Kreationismus ein biblisches Konzept?
Ich will mit einer elementaren Feststellung beginnen. Eine biblische Lehre von der Schöpfung, die sich auch nur entfernt mit dem kohärenten Wissen moderner Naturerkenntnis vergleichen ließe, gibt es nicht. Von der Schöpfung wird in der Bibel erzählt. Erzählungen aber bewegen sich im Nahbereich menschlicher Erfahrung: über uns der bestirnte Himmel, neben uns Pflanzen und Tiere, hinter uns eine Zeit, deren Erstreckung wir kaum ermessen, vor uns ein Raum, den wir planend gestalten müssen. Und außer der Wirklichkeit, die wir sehen dann die Realität des Unsichtbaren: Angst, Freude und Leiden, auch Liebe, Sorgen, Erinnerungen und Erwartungen. Mit diesen Grundbedingungen unseres Lebens hat es die Schöpfung zu tun. Sie werden nicht untersucht oder erklärt, schon gar nicht „wissen- schaftlich“; sie werden gedeutet und interpretiert, d.h. auf ihre Bedeutung für unser Dasein befragt. Das moderne Interesse, eine einfache Grundstruktur, also eine Art Bauprinzip in aller Realität freizulegen, ist den biblischen Texten fremd. Sie folgen der Selbstentfaltung alles Lebendigen und konzentrieren sich auf die Schilderung der Relationen und Abhängigkeiten, in die dieses Leben eingebunden ist und in denen es gelingt. Darum führt das Thema einer Konkurrenz zwischen Bibel und Naturwissenschaft auf dieser Ebene in eine sinn- und ausweglose Sackgasse. Es sind zwei verschiedene Perspektiven, unter denen dieselbe Welt hier und dort erscheint. Die Bibel folgt einem anderen Entwurf mit anderen Selbstverständ- lichkeiten und Fragen, als unser Zeitalter sie kennt. Davon soll nun die Rede sein.
Das gilt in erster Linie bereits für die Frage nach dem Ursprung, der Herkunft unserer Welt. Da der Vorgang ihrer Erschaffung keinen menschlichen Zeugen hat, kann von ihm nur in Bildern und Metaphern geredet werden. Schon das Wort „erschaffen“ ist eine aus dem Bereich menschlicher Produktion „ausgeliehene“, nur in „übertragenem“ Sinn brauchbare Sprachfigur. Für die uns geläufigen Begriffe „Welt“, „Kosmos“ oder „Natur“ gibt es in der Bibel kein entsprechendes Wort. Vollends muss man sich klar machen, dass die Vorstellung einer sukzessiven Entwicklung der Gattungen und Arten ein für die ganze Antike unvollziehbarer Gedanke war (den auch wir erst seit Giordano Bruno und Darwin kennen). Da die Bibel ein von Menschen geschriebenes Buch ist, hat sie uneingeschränkt Anteil an den weltbildhaften Vorstellungen einer vergangenen Zeit, und in diesem Rahmen ist gar nichts anderes denkbar, als dass Pflanzen und Tiere sozusagen „auf einen Schlag“, so wie wir sie heute kennen, aus der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen sind (Theorie der Konstanz der Arten).
Es ist unbestreitbar, dass die biblischen Autoren in ihrer Darstellung der Schöpfung einen sehr direkten Gebrauch von den Naturerklärungen ihrer Zeit gemacht haben. „Es kann keinem Zweifel unterliegen“, schreibt Gerhard von Rad in einer der besten Auslegungen von Gen 1, „dass der Schöpfungsbericht nicht ausschließlich theologische, sondern auch Naturerkennt-nisse vermitteln will. … Die Theologie hatte eben in der damaligen Naturerkenntnis ein Instrument gefunden, das ihr völlig angemessen war.“[13] Das aber ist keineswegs mehr das unsere. Wir leben in einer anderen Zeit, und nichts kann uns nötigen, die Bibel als ein physikalisches oder biologisches Lehrbuch zu lesen. Ihre Aussage liegt auf einer anderen Ebene.
Hinzu kommt ein Zweites: Das Thema der Schöpfung wird sehr viel breiter entfaltet, als eine Konzentration auf die beiden ersten Kapitel unserer Bibel erkennen lässt. Es wird in den Psalmen, im zweiten Jesajabuch und in den weisheitlichen Überlieferungen (etwa den großen Schlussreden des Hiobbuches [Hi 40-41]) aufgenommen, Texten, die Jahrhunderte weit auseinanderliegen und von sehr verschiedenen Standorten her mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen arbeiten. Heißt es in Gen 2, dass Gott wie ein Töpfer den Menschen aus Lehn bildete, so list man in Ps 139,15: „Mein Gebein war dir nicht verborgen, da ich im Dunkeln gebildet ward, kunstvoll gewirkt in Erdentiefen.
Zu einer förmlichen Lehre ist es erst in frühchristlicher Zeit gekommen, als man die breite Palette biblischer Aussagen auf die Texte einengte, die für das Reden vom Heil notwendig erschienen. Wichtig und wesentlich blieb nun allein die eine Linie, die von der Schöpfung zum Sündenfall und schließlich zur Erlösung führt, also der Zusammenhang von Gen 1 – 3, den allein wir darum auch in den Darstellungen der Kunstgeschichte wiederfinden. Jetzt erst wurde der Vorgang der Schöpfung ein für allemal auf das Sechstage-Werk, festgelegt, das mit der Erschaffung des Menschen seinen Höhepunkt und Abschluss erreicht. Hier war in einer großartigen Einseitigkeit von allem abgesehen, was als grundlegend für Welt und Mensch in der biblischen Urgeschichte ausgesagt wird.
Nimmt man dies alles zusammen, dann fällt vor allem eines auf: Die Erschaffung der Welt durch Gott ist im Alten Testament kein Glaubenssatz! In den Bekenntnisformulierungen der hebräischen Bibel (etwa Dtn 26,5-9) kommt die Schöpfung oder der Glaube an einen Schöpfer nicht vor. Warum? Weil es eine andere Möglichkeit der Weltentstehung, eine Alternative zu der von Gott gesetzten Wirklichkeit, nicht gab. Die Menschen des Alten Testaments „brauchten nicht zu glauben, dass die Welt von Gott geschaffen ist, weil das eine Voraussetzung ihres Denkens war“[14], eine Voraussetzung, die sie mit der ganzen Welt des Alten Orients teilten.
2.1 Wann sind sie Schöpfungsberichte entstanden?
Die Theologie hat erhebliche Mühe und auch Scharfsinn darauf verwandt, aus den verschiedenen Erzählungen, Hymnen und Disputationen ein Bild der Entstehung und Herkunft der Schöpfungsüberlieferungen zu rekonstruieren. Es liegt auf der Hand, dass das nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden, der Prüfung vorab entwickelter Hypothesen im Experiment geschehen kann, obwohl Forschungshypothesen auch hier eine beachtliche Rolle spielen. Das wissenschaftliche Instrumentarium, die historisch-kritische bzw. historisch-narrative Methode, sucht wie der Archäologe in einem Ruinenfeld Hinweise auf das Alter der Texte, charakteristische Stilmerkmale, mögliche Fremdeinflüsse, ursprüngliche Adressaten- und Leserkreise usf. zu gewinnen. Hinzu kommt – für unser Thema von besonderer Bedeu- tung – die Religionsgeschichte, die Aufschluss geben kann über Parallelen, vielleicht auch Abhängigkeiten von und in anderen Kulturkreisen.
Das erste und wichtigste Ergebnis der bis heute andauernden Forschungsarbeit besteht in der Erkenntnis, dass wir es in den Anfangskapiteln unserer Bibel mit zwei verschiedenen (ca. 4 Jh.e auseinander liegenden) Quellen zu tun haben. Die ältere Paradieserzählung (Gen 2,4b-25) stammt aus einem ausgesprochen kontinentalen Lebensbereich. Hier zeigt die Erschaffung des Menschen Gott in kühner Anschaulichkeit wie einen Töpfer mit der Ausformung seines Werkstücks beschäftigt, eine Vorstellung, die im Hiobbuch und in den Psalmen wiederkehrt: „Deine Hände haben mich kunstvoll gemacht und gebildet“ (Hi 10,8), die aber sehr viel älter ist und bereits im babylonischen Gilgamesch-Epos bei der Erschaffung Enkidus begegnet. – Ganz anders der jüngere Bericht der sog. Priesterschrift (Gen 1), den man heute auf die Zeit des Exils (6.Jh. vor Chr.) datiert. Er hat ein ausgeprägtes kosmologisches Interesse, führt seine LeserInnen in einer bis ins Detail wohlüberlegten Systematik über die Entstehung der kosmischen Räume, der Pflanzen- und Tierwelt bis hin zur Erschaffung des Menschen. Dabei lässt er die handwerkliche Vorstellung der fabricatio mundi weit hinter sich und spricht stattdessen von der Schöpfung durch das Wort. Die weltüberlegene Transzendenz Gottes findet darin einen angemessenen Ausdruck, doch hat auch sie einen weiträumigen religionsgeschichtlichen Hintergrund.[15] – Wieder andere Akzente werden in der späten Weisheit gesetzt, die am ehesten unseren wissenschaftlichen Vorstellungen entgegen kommt. Im Buch Hiob, den Proverbien und einigen Psalmen (bes. Ps 104) konzentriert sich das Nachdenken auf die rationale Seite der Schöpfung, ihre erkennbaren Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen: den Gang der Gestirne, die Stabilisierung der Erdscheibe auf den Urgewässern, die Herkunft des Schnees, den Kreislauf des Wassers, die Gewohnheiten der wilden Tiere und anderes mehr. Man hat die Weisheit mit der ägyptischen Gottheit Maat verglichen, die das Recht und die Weltordnung verkörpert.[16] Auch wenn man von einer direkten Parallele nur unter Vorbehalt reden kann, so ist die Stilanlehnung dieser Texte an ägyptische Vorbilder unverkennbar. Sie arbeiten Hand in Hand mit der Wissenschaft ihrer Zeit und haben ihre Gegenstände, auch deren Abfolge, unmittelbar den naturkundlichen Listenwissenschaften Ägyptens, den sog. Onomastiken, entnommen. Über Aussageabsicht und -ziel der Schöpfungsberichte und -hymnen ist mit diesen religionswissenschaftlichen Hinweisen indessen noch nichts gesagt.
2.2 Gibt es ein Darstellungsprinzip („Weltbild“) der Schöpfung?
Dass sich das biblische Weltbild mit der Erde als Scheibe und dem sie überwölbenden Himmel tiefgreifend von unserm modernen Wissensstand unterscheidet, muss man nicht eigens betonen. Doch schließt das nicht aus, dass der Grundriss der Schöpfung, ihr Weltentwurf, auch hier einer überlegten inneren Ordnung folgt, die ich am Beispiel von Gen 1 kurz skizzieren will: Es ist einleuchtend, dass die Schöpfung mit der Scheidung von Licht und Finsternis beginnt. Denn wie könnte sie als Sechs- bzw. Sieben-Tage-Werk dargestellt werden, wenn nicht zuvor der Rhythmus von Tag und Nacht erschaffen wäre? Wie aber soll man sich einen Reim darauf machen, dass die Pflanzen – ein altes Problem der Auslegung – vor Sonne und Mond erscheinen? Denn dass sie das Licht der Sonne zu ihrem Wachstum brauchen, wusste man auch in der Antike. Einem plausiblen naturgeschichtlichen Entwicklungsschema folgt der Aufbau von Gen 1 (entgegen den Annahmen des Kreationismus) offenbar nicht. Ihm liegt ein anderes Darstellungsprinzip zugrunde. Der Erzähler gliedert seinen Bericht so, dass er zuerst die Erschaffung der Lebensräume (Firmament = Himmel, Festland und Meer), danach die Erschaffung der ihnen zugeordneten Lebewesen vorführt.
Am Leitfaden der „Häuser“ (griech. oikoi) des Lebendigen wird die Schöpfung erstellt, - ein Prinzip der Anordnung, das man mit Fug und Recht ökologisch nennen darf. Die Gestirne, namentlich Sonne und Mond führen den Reigen der Lebewesen an. Sie gelten in der Antike als Götter, werden also zur belebten Kreatur gezählt. Sie „bewohnen“ das Firmament. Ihnen folgen die Wassertiere, die dem Lebensraum des Meeres, die Vögel, die dem Luftraum zugehören, und schließlich Landtiere und Menschen, die sich den Lebensbereich der Erde teilen müssen. Und die Pflanzen? Sie werden in dieser Systematik zum Lebensraum gezählt und unterstreichen so gewissermaßen den ökologischen Sinn der hier waltenden Logik. Denn wie könnte die Erde als Lebensbereich von Tier und Mensch angesprochen werden, wenn sie nicht mit der Nahrung gewährenden Pflanzenwelt ausgestattet wäre? Die Pflanzen also sind das Kleid der Erde und werden folgerichtig vor den Gestirnen erschaffen.
Ein zweites, noch tieferes Rätsel stellt sich mit dem ersten Schöpfungswerk, dem von Haydn so strahlend intonierten „Es werde Licht!“ Wie aber kann es Licht, wie Abend und Morgen werden, noch ehe Sonne und Mond geschaffen sind? Hier, so deutete ich an, wird der Rhythmus von Tag und Nacht erstellt, das Schema, in dem Zeitordnung und -messung möglich, in dem die Zeit selbst wirklich sein kann. Es trägt den Schöpfungsvorgang, und nur ihn, als Ausdruck einer „von Gott errichteten … und nur bei ihm auch fortbestehenden Ordnung“[17], so dass die Erschaffung der Gestirne als deren sichtbare Entsprechung begriffen werden muss. Die erfahrbare Zeit der Phänomene wird demnach bedingt und umschlossen gesehen von einer anderen Gestalt der Zeit, in der Gott selbst seiner Welt vorausgeht. Heißt es in Ps 19,2: „Die Himmel verkünden die Herrlichkeit Gottes“, also die Aura, die Gott selbst umgibt, so ist das ein Hinweis darauf, dass sich die Schöpfung dieser von vorn her auf sie zukommenden Zeit öffnet, dass sie nach Gott hin offen ist („sie alle warten auf dich“; Ps 104,27), metaphorisch geredet: dass sie im „Morgenglanz der Ewigkeit“ liegt und auf ihre Vollendung in einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ (Jes 65,17) zugeht. Mit Bonhoeffer gesprochen: Sie ist ein „Vorletztes“, das auf das „Letzte“ bezogen bleibt. Systematisch müssen wir darum zwischen Natur und Schöpfung unterscheiden, eine Differenz, die der Kreationismus ebenfalls nicht kennt, sondern einebnet. Wiederum metaphorisch gesagt: Die Natur verliert ihre Toten, sie werden wieder zu Staub; die Schöpfung aber kann auch den Tod in sich aufnehmen, ohne die Toten zu verlieren: sie bewahrt sie zur Auferstehung am Ende aller Tage.
Wichtig ist also vor allem dies: Das Schöpfungswerk wird auf dem Grundriss einer zeitbestimmten Ordnung erstellt (Anschlußstelle für die Frage der Evolution!). Das unterscheidet sie von den mythologischen Darstellungen der vorderorientalischen Umwelt. Sie wird als ein zeitlich gegliedertes, auf den Fortbestand der Zeit hin ausgerichtetes Gefüge entworfen. Das Sechs-Tage-Werk ist ein Spiegel der hebräischen, auf den Sabbat zulaufenden Woche. Die Erfahrung der Geschichte hat den Rahmen und die Perspektive bereitgestellt, in dem und unter der vom Ursprung der Welt erzählt wird, und umgekehrt wird mit der Schöpfung der Prospekt der Geschichte eröffnet. Sie wird in einen Geschichtslauf einbezogen, der zur Berufung Abrahams führt (Gen 12) und sich (in der Prophetie Deuterojesajas) bis zur Heimkehr Israels aus dem Exil erstreckt.
2.3 In welchem Sinne ist die Schöpfung ein Anfang?
Die Bilder des Anfangs, die uns im Zeichen der Schöpfung überliefert sind, wollen zunächst als Gegenbilder zu der auch damals allgegenwärtigen Erfahrung einer zerbrechenden Welt verstanden werden. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass die berühmte Erzählung der Genesis nach allem, was wir wissen, erst in der Zeit des Babylonischen Exils, also sozusagen über den Trümmern Jerusalems aufgezeichnet ist. Sie ist die theologische Antwort auf die im Chaos der Verbannung versinkende Welt Israels. Angesichts des zerstörten Tempels, der Verwüstung des von Gott verliehenen Landes – die Gewalt der Vertreibung noch vor Augen – fragt man jedoch nicht primär nach den Rätseln der Kosmogonie. Der Blick ist aufs Überleben gerichtet. Das Reden von Schöpfung und Schöpfer ist das Reden des bedrohten Menschen in einer bedrohten Welt, nicht die Frage des Intellektuellen nach der prima causa des Universums. Das Thema der Schöpfung steht von Anfang an zwischen der unbeirrt festgehaltenen Erkenntnis einer wohlgeordneten Welt und der Erfahrung des Einbruchs menschlicher und außermenschlicher Gewalt. Zur Debatte steht also nicht, ob die Welt tatsächlich so entstanden ist, wie die Bibel es „lehrt“, sondern ob es einen Garanten ihrer Dauer und ihres Bleibens gibt. Wer im Sinne von Gen 1,1 nach ihrem Anfang fragt, muss sich daher von der Vorstellung naturgeschichtlicher Werdeprozesse trennen, die den Rückschluss auf ein Ursprungsdatum von Himmel und Erde nahe legen könnten. Die Schöpfung, von der die Bibel erzählt, lässt sich auf keine Weise wie ein naturhistorischer Anfang „verifizieren“. Diesen Anspruch hat die Bibel auch nie erhoben.
Genau hier liegt denn auch der theologische Grundfehler des Kreationismus. In der Meinung, die „Wahrheit“ der Bibel gegen eine gottlose Aufklärung zu verteidigen, setzt er sich über die Fragerichtung und damit über die Absicht der alten Texte hinweg. Er verfälscht deren Pointe, indem er historisiert, was historisch niemals gemeint war. (Es liegt ja auf der Hand, dass man nach Adam und Eva nicht in derselben Weise fragen kann wie nach David oder Jesaja. Sie sind nicht historisch einmalige Individuen, sondern Repräsentanten der Menschheit. Was sie verkörpern und was die Erzähler an ihnen beschäftigt, ist nicht das unverwechselbar Einmalige einer menschlichen Biographie, sondern das wiederkehrend Typische des menschlichen Daseins.) Der Urgeschichte kommt man mit der Frage: Was ist damals wirklich geschehen? überhaupt nicht bei.
Worum also geht es? Man kann das biblische Thema der Schöpfung vielleicht am einfachsten auf die Formel bringen: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Wachstum und Werden, Natur und Geschichte, ja „Erfahrung“ überhaupt möglich ist und gelingt? Wer den Anfang in der Radikalität der Genesis zu begreifen versucht, wird darum nicht schon an ein zeitliches ‚initium’ denken dürfen, sondern wird nach der Ermöglichung eines solchen Anfangs fragen, d.h. diesen Anfang als Anfang zu allen Anfängen in der Zeit verstehen müssen: als die keineswegs selbstverständliche Fähigkeit, überhaupt einen Anfang zu machen. Dazu gehören so elementare Gegebenheiten wie der Wechsel von Tag und Nacht, der Rhythmus von Saat und Ernte, aber auch die Institutionen der Ehe oder der Arbeit einschließlich aller Konflikte, die sie mit sich bringen. Hier werden die Konstanten freigelegt, in deren Rahmen sich das Dasein von Welt und Mensch vollzieht. Und sind das nicht auch die Bedingungen, unter denen allein es Wissenschaft gibt? Statt über die Erde zu verfügen, wird der Mensch in ein Gefüge von Bedingungen eingewiesen, von denen er abhängig bleibt, solange er lebt. Das ist der in Gen 1 beschriebene Anfang, dem er sein geschichtliches Dasein verdankt.
Darum erinnert uns die Bibel nicht zuletzt daran, dass die geschaffene Welt eine begrenzte Welt ist. Erschaffen heißt in Gen1 geradezu, Grenzen setzen (zwischen Chaos und Kosmos, Himmel und Erde, Festland und Meer) und dadurch definierte Verhältnisse und Beziehungen stiften, die der Grund dafür sind, dass sich das Leben durch Auswahl und Entscheidung von Möglichkeiten entwickelt. In diesem Netz definierter Beziehungen finden wir uns vor; es ist die unhintergehbare Basis alles Lebens, weshalb seiner Erschaffung auch in Zukunft – alle zweideutigen „Erfolge“ unserer Genetik eingerechnet – kein menschlicher Schöpfungsakt an die Seite zu stellen sein wird. Zugleich ist damit eine fundamentale anthropologische Einsichtausgesprochen: Wir sind nicht ins Grenzenlose, sondern an eine bestimmten Ort im Raum und in der Zeit gestellt. Geschöpf sein heißt in Grenzen existieren.[18] Die Endlichkeit ist seine Auszeichnung, nicht ein zu behebender Mangel. So werden wir – man halte sich an den 104. Psalm – auch mit unserer unbestreitbaren Kunstfertigkeit und Macht gleichsam zurückgenommen auf die elementare Ebene kreatürlicher Freude, Arbeit und Not, mit allem Lebendigen einbezogen in das Warten auf Gott (V.27), dessen Atem wir mit jedem Sonnen- aufgang den Anfang unseres geschöpflichen Daseins verdanken
2.4 Kann die Theologie die Evolutionslehre akzeptieren?
Der Streit zwischen Evolutionsbiologie und Schöpfungsglaube war von Anfang an ein weltanschaulicher Konflikt. Dafür sprechen am deutlichsten die geradezu gegensätzlichen Argumente, die die Theologie gegen die revolutionär neue Lehre ins Feld geführt hat. Der klassische ältere Einwand richtete sich gegen die (faktisch weit überschätzte) Rolle des Zufalls im Verlauf der Evolution. Genau umgekehrt sah man sich ein halbes Jahrhundert später genötigt, mit dem Protest gegen einen lückenlosen Determinismus auf Ernst Haeckels „Welträtsel“ zu reagieren. Beide Fronten sind wissenschaftlich längst überholt. Sie sind aber auch theologisch unhaltbar. Sie hätten ja nur dann ein Recht, wenn die Bibel – so das historistische Missverständnis – den Schöpfungsvorgang, insbesondere die Erschaffung des Menschen, auf eine bestimmte Vorstellung festgelegt hätte. Doch abgesehen davon, dass von dem Wie dieses Vorgang kein Wort verlautet – er ist uns (eine unübersteigbare Grenze theologischen Wissens!) gänzlich entzogen – warten die einschlägigen Texte mit einer Vielfalt unterschiedlichster (auch mythologischer) Bilder auf, um das Unbegreifliche menschlicher Anschauung irgendwie nahe zu bringen. Hier lässt sich nichts dogmatisieren, hier hat die wissenschaftliche Erkenntnisbemühung eine unanfechtbaren freien Raum. Gerade dort, wo im 19. Jahrhundert die Gegensätze am unversöhnlichsten aufeinander prallten, in der Frage der Evolution, wird das Gespräch heute mit der größten Verständigungsbereitschaft für die Fragen des anderen Partners geführt.
Dass die Annahme einer schrittweisen Entwicklung der Welt, insbesondere der Gattungen und Arten alles Lebendigen, dem freien Handeln Gottes nicht widerspricht, ihn als Schöpfer des Universums nicht in Frage stellt, wird heute nahezu von allen Theologen mühelos zugestanden. Man lernt die Evolutionstheorie als das „Konzept seiner Welt“ zu verstehen, „die allezeit im Werden begriffen ist“[19], d.h. als das Angebot einer „Theorie der Geschichtlichkeit der Natur“[20], die deterministische Erklärungsmodelle grundsätzlich hinter sich lässt. Damit ändert sich zwangsläufig die Frage nach Gott. Der Anfang von Gen 1 löst sich in evolutiver Sicht auf in eine Fülle von Neuanfängen, so dass die Theologie mit ihren Überlegungen dort ansetzen muss, wo sie früher vom Werk der Erhaltung, Begleitung und Vollendung der Schöpfung gesprochen hat. Das ist, formal geurteilt, kein wirkliches Problem, denn gerade so wird der eine Anfang ja tatsächlich als „Anfang zu allen Anfängen“ ernst genommen. Nur eben. Wie lässt sich das denken? Wenn das biblische Reden von der Schöpfung und das Konzept der Evolution „grundsätzlich kompatibel“ sind (Bosshard), dann muss das an der schwierigsten Stelle, der Theorie der Selbstorganisation gezeigt werden, Das aber bedeutet: wir brauchen – und man sollte das offen aussprechen – über Gen 1 hinaus einen Schlüssel, der zu diesem Schloss passt. Wer oder was ist das „Selbst“ der Selbst-organisation?
Dazu noch ein paar kurze Bemerkungen: Die Bibel geht in allen Überlieferungsschichten von der Welttranszendenz Gottes aus. Erschaffen – ob in der Form erstmaligen Hervorbrin-gens oder nachfolgenden Gestaltens – ist dann immer ein Handeln bzw. Eingriff von außen. Es scheint aber hoffnungslos verwirrend zu sein, wollte man sagen, ein biologisches oder physikalisches Ereignis, sei es der Urknall oder eine Mutation, finde deshalb statt, weil Gott es von außen angeordnet oder bewirkt habe. Die neuen Interpretationsversuche, angefangen von dem enthusiastischen Entwurf Teilhard de Chardins, gehen daher von einer Weltimmanenz Gottes aus. Sein schöpferischer Geist wird energetisch als die Innenseite der Materie begriffen, die die Evolution vorantreibt. Die amerikanische, von dem Mathematiker und Philosophen Alfred N. Whitehead angestoßene Prozesstheologie rechnet in ähnlicher Weise mit zwei dem Weltprozess immanenten „Naturen“ Gottes, einer „primordial nature“, kraft der er das Ziel der Entwicklung vorgibt, indem er jede „entity“ zu dem für sie optimalen Zustand „überredet“, und einer „consequent nature“, kraft der er mitempfindend (als „fellow sufferer“) das Werden der Welt begleitet, die Welt gleichsam physisch empfindet und sich dadurch von ihr abhängig macht. Das Problem ist dann in beiden Fällen dasselbe: Gott wird bis zur Selbstpreisgabe in seine Schöpfung hineingezogen mit der Folge, die Whitehead als Philosoph risikolos formulieren kann: „Es ist genau so wahr zu sagen, dass Gott die Welt erschafft, wie zu behaupten, dass die Welt Gott erschafft.[21]
Mit dieser Konsequenz wird sich die Theologie nicht abfinden können. Sie würde Gott als ihr kritisches Gegenüber verlieren. Und so mag der Hinweis auf diese Aporie einstweilen nur erläutern, was für die Theologie wie für jede Wissenschaft gilt: Auch sie kann nur einen Teil der umfassenden Wirklichkeit unter der ihr eigenen Perspektive erfassen. Auch ihr Nach- denken ist ein offener Suchprozess.
3. Die These des Intelligent Design: ein versteckter Gottesbeweis?
Es lässt sich nicht bestreiten, dass die These des Intelligent Design – anders als der Kreationismus – zentrale theologische Fragen aufwirft und zwar in einem ernsthaften Gespräch mit der zeitgenössischen Naturwissenschaft: Ist die Welt das zufällige Produkt physikalischer und biochemischer Vorgänge, das willkürliche Resultat von Versuch und Irrtum ohne tieferen Sinn und Bedeutung? (R.Dawkins) Ist der Mensch „das Ergebnis eines rein materiellen Prozesses ohne Zweckbestimmung und Absicht“? (George Simpson) Oder steht hinter alledem ein planvoller schöpferischer Wille, von dessen verborgener Wirksamkeit die besten Physiker des letzten Jahrhunderts überzeugt waren? „Ein tiefer Naturwissenschaftler“, schrieb Albert Einstein, „vermag sich nicht vorzustellen, dass die ungemein feinen Zusammenhänge, die er erschaut, von ihm zum ersten Mal gedacht werden. Nein: Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlose Vernunft.“[22] Von Walter Nernst ist der Satz überliefert: „Physik treiben heißt, dem Schöpfer hinterhersehen.“
3.1 Thema und Problem
Die Evolution wird von der Theorie des Intelligent Design selbstverständlich anerkannt. Doch angesichts der wachsenden Einsicht in die Komplexität des Lebens geraten viele mechanistischen Vorstellungen, auch die Erklärungskraft der Darwinschen Grundpfeiler (Mutation und Selektion) ins Wanken. Karl Popper ging sogar so weit und nannte die klassische Evolutionstheorie eine „metaphysische Hypothese“, da sie wesentlich theoretischer Natur sei und sich empirisch weder verifizieren noch falsifizieren lasse. So hat Simon Conway Morris, Paläobiologe aus Cambridge, in einem jüngst erschienenen Buch („Jenseits des Zufalls“) darzulegen versucht, warum die Darwinschen Prinzipien allein die Vielfalt und Ordnung des Lebens nicht erklären, geschweige denn in ihrem Sinn erschließen können. Dem Leben müsse ein Plan zugrunde liegen, der es auf ein Ziel hinlenkt.
Ein weiteres in diesem Zusammenhang immer wieder diskutiertes Beispiel ist das unter Physikern nicht unumstrittene sog. „anthropische Prinzip“, die Tatsache, dass einige wenige Naturkonstanten, nämlich die Lichtgeschwindigkeit, das Massenverhältnis von Elektron zu Proton, die Gravitations- und Feinstrukturkonstante gemeinsam mit den klassischen Natur- gesetzen für die Möglichkeit des Lebens unverzichtbar sind.[23] Wäre etwa die Gravitations -konstante nur 2 Stellen hinter dem Komma kleiner, könnte die Erde ihre Atmosphäre nicht festhalten; Leben wäre unmöglich. Die tatsächlich gegebene Feinabstimmung (fine tuning) dieser Konstanten beschreibt also die Bedingungen, unter denen allein Leben entstehen kann. Sollte dieses Zusammenspiel, so die naheliegende Frage, Zufall sein? Ein weiteres, nicht weniger erstaunliches Forschungsresultat erläutert der Physiker Walter Thirring. Er beschreibt die Zielgenauigkeit des Urknalls und kommt zu dem Ergebnis: Wäre er nur geringfügig stärker ausgefallen, gäbe es uns nicht, wäre er schwächer gewesen, gäbe es uns auch nicht. Wiederum: Reiner Zufall?
Jenseits unseres berechtigten Staunens angesichts dieser Phänomene stellt sich zunächst die Frage, was man aus ihnen tatsächlich schließen kann. Kann, so lautet ein physikalischer Einwand, ein souverän ordnender Geist (ein intelligent designer, wie immer man sich ihn vorstellen mag) überhaupt auf Materie einwirken? Ein durch Naturgesetze bestimmtes Werden und das Wirken eines „geistigen Prinzips“, das die antike Philosophie bis hin zu Thomas von Aquin in Form einer immanenten Teleologie der Natur gleichsam eingestiftet sah, seien unaufhebbare Widersprüche (R.Dawkins). Dagegen lässt sich immerhin fragen, wer die Naturgesetze und -konstanten für welchen Zweck gerade so geordnet hat. Der Preis jedenfalls ist hoch, wenn man der Materie die Offenheit absprechen wollte, durch ein geistiges Prinzip bestimmt zu werden. Ulrich Eibach, Theologe und Ethiker, hat zweifellos Recht, wenn er dekretiert: „Wenn es kein Bestimmtwerden der Materie durch geistiges Sein gibt, dann kann es kein Wirken Gottes in dieser Welt geben“[24], so wie es die Bibel mit der Erschaffung der Welt durch Gottes Wort und Geist beschreibt (selbst wenn Gott seiner Schöpfung die Freiheit einräumt, ihre Gestaltenvielfalt selber zu „organisieren“ - gemäß dem schönen Diktum von Teilhard de Chardin: „Dieu faisant se faire les choses“). Ich selbst jedenfalls neige zu der These, dass Materie und Geist zwei gleichursprüngliche Realitäten unserer Welt sind.
So umstritten diese Fragen und Thesen heute (noch) sind: Das eigentliche Problem des Intelligent Design liegt nicht hier, sondern an einer anderen Stelle. Problematisch ist die Richtung (und damit auch die Stringenz) des hier intendierten Schlusses von der Welt auf ihren schöpferischen Grund. Sie erinnert an ähnliche Argumentationsfiguren, die Paul Davies entwickelt hat: Er fragt: „Warum ist die Welt so, wie sie ist“?[25], um dann eine passgenaue Antwort auf die Frage nach dem ihr gemäßen Gott zu bekommen. Schon die erste Frage ist jedoch keine wissenschaftliche, d.h. durch Wissenschaft entscheidbare Frage, sondern eine metaphysische Problemstellung, die sich kosmologisch weder angemessen noch sinnvoll bearbeiten lässt, sondern die auf dieser Ebene nur dazu führt, das metaphysische Thema auf problematische Weise in einen Gegenstand der Physik zu transformieren. Hier nimmt sie zwangsläufig dann die Gestalt der Frage an: Wie muss der (rational verstehbare) Aufbau der Welt gedacht werden, damit ein Gott denkbar ist? – und damit verfangen sich die physikalischen Erklärungsversuche in den in den Alternativen der metaphysischen Tradition. Denn als zuverlässiger Erklärungsgrund des Kosmos muss nun auch Gott der Forderung des „so und nichts anders“ unterliegen. Diese Schwierigkeit spiegelt sich auf dem Boden inhaltlicher physikalischer Erklärungen in einer Fülle von Äquivokationen. Kann etwa die viel diskutierte Hypothese des „Urknalls“ das Rätsel des biblischen Anfangs auflösen? Dagegen spricht schon auf der Ebene der Physik, dass sich die Rekonstruktion dieser Hypothese im Dunkel verliert, sobald man bezweifelt, „ob die uns zugänglichen Naturgesetze (hier) als herrschend angenommen werden dürfen“.[26]
Der theologische Einwand wiegt noch schwerer. Der Hinweis auf den schöpferischen Willen Gottes, der dem Universum diese und keine andere Ordnung gegeben hat, stammt erklärtermaßen nicht aus dem Erfahrungsbereich der Physik. Er ist ein Argument der Schöpfungstheologie. Der vom Intelligent Design gemeinte und zu hier leistende Brücken-schlag aber müsste eine physikalische bzw. biologische Basis haben. Er ist ohne ein teleologisches Argument nicht zu bewältigen. Physikalischen Gleichungen und biochemischen Analysen lässt sich jedoch kein Hinweis auf ein Telos der Welt entnehmen. Sie sind zu formal, als dass sich eine ‚Konsonanz’ mir theologischen Aussagen, die diesen Namen verdient, standfest begründen ließe.
Das Problem dieser sympathischen These ist der unausgesprochene Versuch, auf der Basis unserer Naturerkenntnis noch einmal einen indirekten Gottesbeweis zu führen, ein Unter - nehmen, das schon Kant als eine prinzipiell unbeweisbare Unterstellung unseres Denkens abgewiesen hat.[27] Denn zur Wissenschaft im neuzeitlichen Sinne ist die Naturerkenntnis erst durch den methodischen Verzicht auf die Arbeitshypothese „Gott“ geworden. Die „theolo- gischen“ Bemühungen auch der einsichtsvollsten Forscher, sind – so gesehen – der paradoxe Versuch, den „verlorenen“ Gott auf einer atheistischen Basis zurückzugewinnen. Psycholo-gisch gesprochen: Wir suchen die Antwort auf die Orientierungskrise der gegenwärtigen Situation in den Wissenschaften, also genau dort, wo diese Krise ihren Anfang genommen hat: in jener Überschätzung der Naturwissenschaften, die das, was dort an Wahrheit gefunden und erkannt werden kann, mit Wahrheit überhaupt identifiziert.[28] Was folgt daraus? Von der Erkenntnis, oder richtiger: von der Gewissheit, dass die Welt „durch Gottes Wort geschaffen ist“ (Hebr 11,3), kann man nur herkommen. Sie ist nicht das Resultat möglicher Schlußfolgerungen. Die Argumentationsrichtung muss umgekehrt werden. Wir kennen Gott aus anderen Quellen als der Physik: aus Bibel und Gottesdienst, und was wir unternehmen können, ist der Versuch, die Spuren seines Wirkens bei und in unseren Forschungen zu entdecken, sie gewisssermaßen in der Natur wiederzufinden. Diesen Weg hat die biblische Weisheit vom Buch Hiob bis zur Bergpredigt beschritten: „Frage doch das Tier, es wird dich lehren / und die Vögel des Himmels, sie werden dir’s anzeigen … Wer wüsste nicht Bescheid von dem allen, dass Gottes Hand dies gemacht hat?“ (Hiob 12,7-9) Dass die Welt eine theologische Aussage hat, lässt sich gar nicht bestreiten.
3.2 Wo haben wir die „Wahrheit“ der Schöpfungsaussagen zu suchen?
Wer von der Schöpfung redet, bewegt sich im Feld der Theologie. Physiker und Biologen sprechen von der Natur, wenn sie den gleichen Sachverhalt meinen. Es sind zwei verschiede Perspektiven, in denen sich die Welt hier und dort unter einer spezifischen, je anderen Beleuchtung zeigt. Man kann nicht fragen, welches die richtige oder gar die „wahre“ Perspektive ist. Es kommt darauf an, wo man steht. „Entscheidend für die Deutung von Erkennt-nissen der Naturforschung“, resumiert Eibach, „sind also die aus der Forschung und ihren Ergebnissen selbst nicht ableitbaren Vorverständnisse und Lebenseinstellungen der Forscher, also nicht zuletzt die Glaubens- oder Unglaubensüberzeugungen“, auf deren Hintergrund sie interpretieren.[29]
Die Frage drängt sich auf, ob der Standort des Theologen sich einem besonderen Offenbarungswissen verdankt. Offenbarung bedeutet Enthüllung, das Hervortreten eines Verborgenen, die Verkündigung des Unbekannten. Gott selbst hat sich auf diese Weise „offenbart“ (Ex 3,6ff.). Von einer solchen expliziten Kundgabe der Schöpfung kann jedoch im Alten Testament nicht gut geredet werden. So kennt die Schöpfung keine Sonderung der Daseinsbereiche in „heilig“ und „profan“. Was hier zur Sprache kommt, hat mit den durch Offenbarung begründeten Themen „Erwählung“ und „Bund“ unmittelbar noch nichts zu tun. Während das Bekenntnis zum Gott Abrahams Israel von der Völkerwelt trennt, schließt die Urgeschichte Israel mit seiner „heidnischen“ Umwelt zusammen. Die Schöpfung liegt allen Menschen in gleicher Weise offen vor Augen. Auf ein exklusives, nur Israel geltendes geoffenbartes „Geheimwissen“ beruft sich die Bibel an keiner Stelle.
Dennoch geht die Bibel wie selbstverständlich davon aus, dass die Schöpfung eine Aussage hat, ja sogar Wahrheit entlässt, dass es durchaus nicht unmöglich ist, in ihren Spuren zu lesen.[30] „Was man von Gott erkennen kann, ist unter (allen) Menschen offenbar“, schreibt Paulus, „denn Gott hat es ihnen offenbart. Sein unsichtbares Wesen … ist seit der Erschaffung der Welt an und in seinen Werken deutlich zu erkennen.“ (Röm 1,19). „Gott hat sich in seiner ganzen Schöpfung in einer Weise öffentlich dargestellt und tut es noch heute“, sekundiert Calvin, „dass die Menschen ihre Augen gar nicht auftun können, ohne ihn geradezu erblicken zu müssen“ (Inst I,5,1); denn die Welt ist “Schauplatz und Bühne seiner Herrlichkeit“. Dass uns dieses Sehen mit einem wissenschaftlich geschulten Blick die Augen noch für ganz andere Wunder der Schöpfung öffnet, als man in biblischer Zeit ahnen konnte, und so die Möglichkeit des Glaubens an einen schöpferischen Gott auch auf dem Boden der Wissenschaft offen hält, sollte man den Vertretern des Intelligent Design nicht absprechen. Man wird es würdigen müssen, auch wenn ihr Anspruch, auf diese Weise das Wirken Gottes oder gar seinen „Plan mit der Welt“ (P.Davies) beweisfähig zu machen, zum Scheitern verurteilt ist.
[1] D.Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Neuausgabe, München 1977, 393.
[2] V.von Weizsäcker, Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, Göttingen 19636 , 26.
[3] H.Fritzsch, Vom Urknall zum Zerfall, München 1994, 325.
[4] J.Audretsch, Der Blick aufs Ganze, in: J.Audretsch / H.Weder, Kosmologie und Kreativität. Theologie und Naturwissenschaft im Dialog, Leipzig 1999, 44f.
[5] Ebd. 38.
[6] „In der Naturwissenschaft ist die zentrale Ordnung daran zu erkennen, dass man … solche Metaphern verwenden kann wie ‚die Natur ist nach diesem Plan geschaffen’ . Und an dieser Stelle ist mein Wahrheitsbegriff mit dem in den Religionen gemeinten Sachverhalt verbunden“, W.Heisenberg, Positivismus, Metaphysik und Religion, in: Ders, Der Teil und das Ganze, München Zürich 19815, 292. Vgl. dazu U.Eibach, Falsche Fronten: Der Streit um „Intelligent Design“, in: Zeitzeichen 8,2007, Heft 9, 12ff.
[7] Dazu: Chr.Link, Eine Wirklichkeit – zwei Welten. Über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Welt- interpretation, in: :Schneider / F.Vogelsang (Hgg.), in welcher Wirklichkeit leben wir?, Neukirchen 2007, 63-75.
[8] H.Fritzsch, a.a.O. 325.
[9] C.F. von Weizsäcker, Komplementarität und Logik, in: ders., Zum Weltbild der Physik, Stuttgart 196310, 284.
[10] R.Descartes, Die Prinzipien der Philosophie III (1647),2 (PhB 28), Hamburg 1965, 64.
[11] In neuerer Zeit haben sich auf unterschiedliche Weise A.N.Whitehead, Die Funktion der Vernunft (1929), Nachdruck: Stuttgart (Reclam) 1974, und H.Jonas, Organismus und Freiheit, Göttingen 1973, mit guten Gründen für eine Rehabilitation der Finalität eingesetzt.
[12] So: C.F. von Weizsäcker, Die Tragweite der Wissenschaft, Stuttgart 1964, 128.
[13] G. von Rad, Theologie des Alten Testaments, Band I, München 19624, 161f.
[14] C.Westermann, Schöpfung. Themen der Theologie. Stuttgart 1971, 14.
[15] Im babylonischen Weltschöpfungs-Epos ‚Enuma elish’ beweist Marduk seine göttliche Macht, indem er durch sein befehlendes Wort einen Gegenstand ins Dasein ruft und wieder verschwinden lässt, und näher noch scheint sich Gen 1 mit Zügen der altägyptischen „memphitischen“ Theologie zu berühren, derzufolge der Allgott Ptah auch die Götterneunheit (einschließlich des Sonnengottes Re) durch sein Wort erschafft. Vgl. G.von Rad, a.a.O. (Anm. 13), 157.
[16] H.H.Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung. Hintergrund und Geschichte des alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriffs, Tübingen 1968; etwas zurückhaltender: J.Assmann, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 1990, 164ff.
[17] O.H.Steck, der Schöpfungsbericht der Priesterschrift, Göttingen 1975, 210; zum Ganzen auch: Chr.Link, Schöpfung, HST 7/2, Gütersloh 1991, 360ff.
[18] Vgl. hierzu die hellsichtige Interpretation von D.Bonhoeffer, Schöpfung und Fall (1932/33), München 1968, 59f. bes. 84ff.: „Die Grenze des Menschen ist in der Mitte seines Daseins, nicht am Rand“ (ebd.60).
[19] S.N.Bosshard, Erschafft die Welt sich selbst?, QD 103, Freiburg 1985, bes. 191ff.
[20] G.Altner, Die Überlebenskrise in der Gegenwart, Darmstadt 1987, bes. 86ff.
[21] A.N.Whitehead, Prozess und Realität, Frankfurt 1979, 621.
[22] Das Zitat verdanke ich (ohne Quellenangabe) Herrn Hans Pilgram, Trier. In einer von Carl Seelig zusammengestellten Auswahl: „Albert Einstein, Mein Weltbild“, Zürich-Stuttgart-Wien 1953, 223, heißt es: „Es ist gewiss, dass eine mit religiösem Gefühl verwandte Überzeugung von der Vernunft bzw. der Begreiflichkeit der Welt aller feineren wissenschaftlichen Arbeit zugrunde liegt.“
[23] Dazu: R.Breuer, Das anthropische Prinzip. Der Mensch im Fadenkreuz der Naturgesetze, Frankfurt 194
[24] U.Eibach, Falsche Fronten, a.a.O. ( Anm.5), 14.
[25] P.Davies, Der Plan Gottes. Die Rätsel unserer Existenz und die Wissenschaft, Frankfurt 19962, 192ff.
[26] H.L.Harney, Was ist Zufall – Wirklichkeit oder Bild der Wirklichkeit?, in: R.Bernhardt / U.Link-Wieczorek (Hg), Metapher und Wirklichkeit (FS D.Ritschl), Göttingen 1999, 192ff.
[27] I.Kant, Kritik der Urteilskraft (1799), § 75; PhB 79 a, Hamburg 1959, 262ff.
[28] Zu diesem Problem: Chr.Link. Schwierigkeiten im Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie, in: Ders., In welchem Sinne sind theologische Aussagen wahr?, Neukirchen 2003, 143 – 160.
[29] U.Eibach, a.a.O. (Anm.6) 15.
[30] G. von Rad, Weisheit in Israel, Neukirchen 1970, bes.385, hat diesen Satz mit einer Fülle von Beobachtungen und Sentenzen belegt.
© Prof. Dr. Christian Link
Barth-Lektüre einmal anders – in einem Roman des amerikanischen Schriftstellers John Updike. Das Thema: Wort-Gottes-Theologie contra Kreationismus. Der Student Dale Kohler will die Existenz Gottes mit einem Computerprogramm beweisen. Professor Roger Lambert hält ihm entgegen: Ein Gott, den man „aus dem Herzen der Natur“ beweisen könne, mache den Glauben billig.