Heidelberger Katechismus Frage ...
Den Heidelberger (anders) hören
Dieser Text regt zum eigenen (Weiter-)Denken an!
Ein Veranstaltungsvorschlag

Den Heidelberger Katechismus vortragen lassen und einmal (anders) hören – in Auszügen oder ganz. In Abwechslung vielleicht mit solistischen Musikstücken.
Dialogisch. Szenisch. Kommunikativ. Ohne viele Erklärungen. Denn dieser Text regt zum eigenen Denken an, berührt existentielle Fragen, weckt Widerspruch oder Zustimmung, fordert heraus!

Programmvorschläge, weitere Infos und Kontakte zu Schauspieler/inne/n über Aleida Siller, E-Mail: info@reformierter-bund.de



Frage 21

Predigt von Pastor Klaus Kuhlmann, Braunschweig

"Was ist wahrer Glaube?"

Wahrer Glaube ist nicht allein
eine zuverlässige Erkenntnis,
durch welche ich alles für wahr halte,
was uns Gott in seinem Wort geoffenbart hat,
sondern auch ein herzliches Vertrauen,
welches der Heilige Geist durchs Evangelium in mir wirkt,
dass nicht allein anderen, sondern auch mir
Vergebung der Sünden,
ewige Gerechtigkeit und Seligkeit
von Gott geschenkt ist,
aus lauter Gnade,
allein um des Verdienstes Christi willen.


Liebe Gemeinde!

„Was ist wahrer Glaube?“

Im Jahre 1557 führte Kurfürst Ottheinrich die Reformation im Kurfürstentum der Pfalz ein. Der katholische Glaube, in dem und mit dem Generationen groß geworden waren und lebten und starben, wurde damit für ungültig erklärt.

„Was ist wahrer Glaube?“

Nach dem Tode Ottheinrichs traten in Heidelberg theologische Spannungen in der Abendmahlslehre auf, und lutherische und reformierte Auffassungen standen sich unversöhnlich gegenüber. Wer hat wirklich Gemeinschaft mit dem Leib Christi, lautete die entscheidende Frage.

„Was ist wahrer Glaube?“

Daraufhin schaltete Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz den Reformatoren Philipp Melanchton ein, der vermitteln sollte. Disputationen sollten klären und den Streit entschärfen. Eine Schrift wirbt um Verständnis dafür, dass das Abendmahl keineswegs seines Gehaltes beraubt werde, wenn – ich zitiere – „der leib nit im Brot drinnen steckt, und dem gottlosen nit wird von dem kirchendiener in das maul gelegt.“ (1)
„Was ist wahrer Glaube?“

Eine Kirchenordnung und ein Katechismus wurden in Auftrag gegeben, um Erwachsene und Jugendliche im Glauben zu unterrichten und 1563 eingeführt. Die Wirkung des „Heidelberger Katechismus“ im reformiert geprägten Protestantismus ist weltweit und prägt Menschen bis heute.

Etwa ein Jahrhundert später wurde die Pfalz eine Zeitlang wieder katholisch…

„Was ist wahrer Glaube…?“


I.
Um den „wahren Glauben“ wurde nicht nur gerungen und gestritten, nein, es wurden und werden auch blutige Kriege geführt.
„Glaube“ und „Wahrheit“ haben einerseits im Bekenntnis zusammengewirkt, um zum Beispiel dem Unglauben und der Lüge der „Deutschen Christen“ in der Zeit des Nationalsozialismus entgegenzutreten.
„Glaube“ und „Wahrheit“ reagieren aber auch immer wieder wie zwei chemische Stoffe, die eine explosive Reaktion hervorrufen können.

In welchem Spannungsfeld befinden wir uns heute, liebe Gemeinde?

Viele sagen:
Mein Glaube ist meine Privatangelegenheit, da lasse ich mir von niemandem hineinreden, nicht von Pastoren, nicht von der Kirche, nicht vom Papst oder vom Vatikan.

Andere meinen:
In einer Zeit, in der so viel beliebig geworden ist, sind „Zeitansagen“, Handlungsanweisungen, ethische Normen dringender denn je. Und auf diesem Hintergrund habe ich mich nicht gewundert, wie viele Protestanten sich von Papst Benedikt XVI. Orientierung und „Zeitansagen“ erhofft haben.

In den USA sind fundamentalistische Strömungen stärker denn je und prägen auch das politische Klima.

In welchem Spannungsfeld bewegen wir uns heute?
Zwischen „alles geht“ und „neuem Fundamentalismus“?

Kann uns die Frage 21 aus dem Heidelberger Katechismus Impulse und Wegweisung geben?


II.
„Was ist wahrer Glaube?“

„Wahrer Glaube ist nicht allein
eine zuverlässige Erkenntnis,
durch welche ich alles für wahr halte,
was uns Gott in seinem Wort geoffenbart hat…“

So beginnt die Frage.

Grundlage ist Gottes Wort, ist die Heilige Schrift, die Bibel des Ersten und Zweiten Testaments.

Unser Gegenüber ist ein sprechender, ein sich mitteilender, ein mit uns Menschen kommunizierender Gott, der nicht für sich alleine sein will, sondern die Gemeinschaft mit uns suchte und sucht –
eine „gesellige Gottheit“ (Kurt Marti).

Gotteswort in Menschenmund – vielfältig verstehbar:
je nach Alter, Geschlecht, Kontinent, sozialer Situation…
Immer wieder neu zu hören, als Geschenk für jede Generation.
Als Aufgabe für die Gemeinde, sich immer wieder neu über ihren Auftrag
zu verständigen.

Gotteswort in Menschenmund – damit sicher auch missverständlich, doch nicht um diese Möglichkeit des Missverstehens geht es dem „Heidelberger“ in dieser Frage, sondern um Zuverlässigkeit, um eine „zuverlässige Erkenntnis“.

Ich kann Gottes Wort hören und erkennen, und was ich höre und erkenne, darauf kann ich mich verlassen. Ich kann mich auf meine Erkenntnis verlassen, meinen Verstand, kann meinem Verstand trauen.

In Psalm 1 wird der Mensch selig gepriesen, der
„seine Lust hat an der Weisung des HERRN
und sinnt über seiner Weisung Tag und Nacht.“

Das finde ich so bemerkenswert am Heidelberger Katechismus, dass seine Verfasser, Kaspar Olevian und Zacharias Ursinus, die biblischen Grundlagen angeführt haben, auf die sie hören und auf die sie sich beziehen.

Jedermann und jedefrau soll die Möglichkeit haben, selbst in der Bibel nachzulesen und sich seine eigenen Gedanken zur Auslegung zu machen. Kritikfähigkeit wird hier geschult und mündiges Denken.

Die Verfasser wollen sich an der Bibel messen lassen.

Schon der Apostel Paulus hat Mut dazu gemacht:
„Prüft aber alles, das Gute behaltet!“ (1. Thess. 5,21)

Was für eine Hochschätzung geistiger Erkenntnis.
Und das zweite kommt diesem gleich:
Der Glaube ist nicht nur „eine zuverlässige Erkenntnis“, sondern auch „ein herzliches Vertrauen“.


II.
Ich finde diese Formulierung genial!

Dass der Glaube erkennen will, denken will, kritisch denken will, ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite ist:
der Glaube will mit dem Herzen vertrauen, ist eine Herzensangelegenheit.
Der Verstand soll geschult werden, und mit dem Verstand das Gefühl, das Herz.

Große Leidenschaft ist hier im Spiel:

Ich denke an die Leidenschaft Gottes für sein Volk, das in der Gefangenschaft lebt, und Gott hört und erbarmt sich:
„Und Gott hörte ihr Seufzen, und Gott gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob. Und Gott sah auf die Israeliten, und Gott nahm sich ihrer an.“
(Exodus 2, 24.25)

Ich denke an die Leidenschaft Jesu von Nazareth, der sich der Menschen erbarmt:
„…und sie taten ihm leid, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ (Markus 6,34)

Die Leidenschaft eines Paulus ist zu nennen, der um seine Gemeinden kämpft:
„Aus großer Bedrängnis und mit angstvollem Herzen schreibe ich euch, unter vielen Tränen, nicht um euch zu betrüben, sondern um euch die Liebe erkennen zu lassen, mit der ich euch über alles liebe.“ (2. Korinther 2,4)

Ich denke an das Hohelied der Liebe, wie zwei Menschen sich leidenschaftlich suchen:
„Leg mich auf dein Herz wie ein Siegel,
wie ein Siegel an deinen Arm!

Denn stark wie der Tod ist die Liebe,
hart wie das Totenreich die Leidenschaft.
Feuerglut ist ihre Glut,
Flamme des HERRN.“
(Hoheslied 8,6)

Und der Vater fällt mir ein, der Jesus leidenschaftlich um die Genesung seines Sohnes bittet:
„Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!“
(Markus 9,24)

Gottes Leidenschaft für seine Menschen ist die Voraussetzung für unsere „Herzensbildung“ und Mitmenschlichkeit.

Von „Ganzheitlichkeit“ ist in den letzten Jahren immer wieder die Rede, dass man den Menschen nicht auf den Intellekt reduzieren will, sondern auch den Gefühlen ihr Recht geben will.

Der „Heidelberger“ erscheint mir in seiner Formulierung ganz modern, so, als würde er auf unser Bedürfnis antworten.
III.
„Zuverlässige Erkenntnis“ und „herzliches Vertrauen“,
„welches der Heilige Geist durchs Evangelium in mir wirkt“.

Es gibt Lebensgewissheiten, die ich nicht aus mir heraus habe –
ich muss sie mir sagen lassen und ich darf sie mir sagen lassen.

Zum Beispiel, dass ich geliebt bin, in meiner Schuld und trotz meines Versagens.

Dass ich mit liebevollen Augen angeschaut werde, auch dann, wenn ich mich selber überhaupt nicht für liebenswert halte.

Dass ich gehalten werde, auch wenn ich den Boden unter den Füßen zu verlieren meine.

Diese Lebensgewissheiten muss und darf ich mir sagen lassen, damit ich sie mir zu eigen machen kann, damit sie in mir wachsen und sie mich stark machen – der „Heidelberger“ sagt immer wieder, damit sie mich „trösten“.

Wenn dies geschieht, wenn diese gute Botschaft mich trifft, meine Existenz betrifft, dann wirkt der Heilige Geist in mir und dann geschieht etwas, was ich selber nicht machen kann:
Gottes Liebe macht mich frei.


IV.
Ja, mich.
Auch mich, wie gut!

„…dass nicht allein anderen,
sondern auch mir
Vergebung der Sünden,
ewige Gerechtigkeit und Seligkeit
von Gott geschenkt ist,
aus lauter Gnade,
allein um des Verdienstes Christi willen.“

„Nicht allein anderen, sondern auch mir“!


Wie schwer tun sich doch viele immer wieder damit, das Gute und Heilsame auch für sich gelten zu lassen…

Ja, dass den anderen die Sünden vergeben sind, das glauben wir gerne –
aber auch mir?

Ja, auch dir!

Ja, dass die anderen mit ewiger Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott beschenkt worden sind –
aber auch ich?

Ja, auch du!

Gute Worte für andere fallen uns wohl oft leichter, als diese guten Worte für uns gelten zu lassen. Wir stehen uns mit unseren Selbstzweifeln immer wieder im Weg.

Der „Heidelberger Katechismus“ ist hier sehr eindeutig und in seiner Eindeutigkeit sehr seelsorglich:
Gottes Zuwendung gilt nicht allein anderen, „sondern auch mir“.

Vielleicht sollten wir uns einmal am Tag diesen Satz in Erinnerung rufen:
nicht nur die anderen sind gemeint – auch ich.

Mit diesem Satz als „zuverlässiger Erkenntnis“ und „herzlichem Vertrauen“ könnte unser Miteinander gelassener und unverkrampfter gestaltet werden.

„Geschenk“ und „Gnade“ –
Gott als „Quelle des Lebens“ und wir als Beschenkte und Begnadete dürfen vor ihm und miteinander sein –
„allein um des Verdienstes Christi willen“.

Auf das Verdienst Jesu Christi lenkt der „Heidelberger“ unseren Blick.
Von Jesus Christus denkt er her und zu Jesus Christus denkt er hin.

Und er tut dies in Beziehung, fragt, was uns das alles „nützt“ und wie uns das alles „zugute“ kommt.

 

V.
„Was ist wahrer Glaube?“

„Wahrer Glaube“ im 21. Jahrhundert in einer pluralistischen Gesellschaft bedeutet für mich:

Auskunftsfähig zu sein über meinen Glauben, weil andere mich im Gespräch nach meinem Glauben fragen:
Jüdinnen, Muslime, Atheisten, Neugierige.

Mit großer Ehrlichkeit und Offenheit mich der Geschichte meines Glaubens stellen – seinen Möglichkeiten und seinen Irrwegen.

„Wahrer Glaube“ bedeutet für mich:
sagen, wofür ich mit Leidenschaft stehe, für welche Hoffnung, welche Vision von weltweiter Gerechtigkeit.
Dass die Humanität eines Glaubens und einer Religion sich beispielhaft daran ablesen lässt, wie er mit Frauen und Schwulen und Lesben umgeht.

„Wahrer Glaube“ bedeutet für mich eine große Gelassenheit:
Gott, der liebt, hat für alle reichlich zu geben – für dich und für mich.
Für jede und jeden ist Platz.
Was bedeutet das für das Gesicht unserer Gemeinde, unserer Gesellschaft?

Ja, und auch immer wieder neu und offen zu fragen, wer Jesus Christus für uns heute ist und was er uns bedeutet?

Und endlich das Abendmahl über alle Konfessionsgrenzen hinweg gemeinsam zu feiern und damit unsere Botschaft glaubwürdig zu machen.

Dieses sind Impulse, die für mich von dieser Frage 21 ausgehen.

Was hören Sie, liebe Gemeinde? –

Möge diese Frage unser Nachdenken und unsere Gespräche über unseren Glauben und unseren Auftrag immer wieder neu anstoßen.

Amen.

(1) zitiert nach Walter Henss, Der Heidelberger Katechismus im konfessionspolitischen Kräftespiel seiner Frühzeit, S. 18
 

Predigt gehalten am 9. Januar 2011 in der Ev. – ref. Bartholomäuskirche Braunschweig