Heidelberger Katechismus Frage ...
Den Heidelberger (anders) hören
Dieser Text regt zum eigenen (Weiter-)Denken an!
Ein Veranstaltungsvorschlag

Den Heidelberger Katechismus vortragen lassen und einmal (anders) hören – in Auszügen oder ganz. In Abwechslung vielleicht mit solistischen Musikstücken.
Dialogisch. Szenisch. Kommunikativ. Ohne viele Erklärungen. Denn dieser Text regt zum eigenen Denken an, berührt existentielle Fragen, weckt Widerspruch oder Zustimmung, fordert heraus!

Programmvorschläge, weitere Infos und Kontakte zu Schauspieler/inne/n über Aleida Siller, E-Mail: info@reformierter-bund.de



Frage 1

Predigt von Pfarrer Dieter Krabbe, Nürnberg

"Was ist dein einiger Trost im Leben und im Sterben?"

Paulus schreibt an die Christengemeinde in Rom:
„Keiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. Leben wir, so
leben wir dem HERRN; sterben wir, so sterben wir dem HERRN. Ob wir nun leben oder sterben: Wir gehören dem HERRN. Denn dazu ist Christus gestorben und
wieder lebendig geworden: Dass er HERR sei über Tote und Lebende.“
(Zürcher Bibel)

„Was ist dein einiger Trost im Leben und im Sterben?
Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkömmlich bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat und also bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja auch mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.
Darum er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens versichert und ihm forthin zu leben von Herzen willig und bereit macht.“
(Ev. Gesangbuch S. 1600f).

Liebe Gemeinde!
Wir Menschen sind fragende Lebewesen, von Kindheit an. Für mich gehört es zum Schönsten, mitzuerleben, wenn ein Kind anfängt, uns Erwachsenen Löcher in den Bauch zu fragen: Wo war ich, bevor ich auf die Welt kam? Warum gibt es keine Dinosaurier mehr? Warum haben Kühe Hörner? Und: Wie sieht es eigentlich im Himmel aus? „Wer nicht fragt, bleibt dumm“, heißt es in der berühmten „Sesamstraße“. Ja, durch Fragen erschließen wir uns die Welt, unser Leben, die Wirklichkeit, durch Fragen bilden wir uns. Auch wenn wir auf viele Fragen keine befriedigenden Antworten finden: Wir fragen weiter. Und wir sollten uns vor allem das kritische Fragen nicht abgewöhnen, nicht verbieten lassen. Vielmehr alles, was wir erleben, immer mal wieder in Frage stellen – in der Hoffnung, dass sich auch überraschende Antworten ergeben können, vielleicht zu einer späteren Zeit.

Ohne Fragen verkümmert unsere Existenz. Ja, es macht zutiefst unser Menschsein aus, dass wir fragende Lebewesen sind. Nicht von ungefähr wimmelt es auch in der Bibel nur so von Fragen: „Adam, wo bist du?“ fragt Gott. Und: „Kain, was hast du getan?“ Und: „Mein Volk, warum vergisst du mich?“ Der Psalmbeter gerät unter dem weiten Firmament ins dankbare Staunen: „Was ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst?“ Auch Jesus fragt: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, und nimmt doch Schaden an seiner Seele?“ Und am Kreuz schreit er verzweifelt: „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“ Und als seine Freunde erkennen, was ihnen Jesus bedeutet, stellen sie die rhetorische Frage: „HERR, wohin sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens…“

Die Bibel – ein Buch voller Fragen. Und deshalb fragt auch der Glaube: Wo komme ich her? Worauf ist Verlass? Warum ist das Böse so mächtig? Was bewirkt die Liebe? Was tröstet mich? Was darf ich hoffen? Und was kommt auf mich zu?
Dass zum Glauben das Fragen gehört, ja dass wir Menschen auch kritische, unbequeme, ja ganz persönliche Fragen stellen dürfen – das ist noch gar nicht so lange her, liebe Gemeinde. Im 16. Jahrhundert, in der Zeit der Reformation, fing man an, sogenannte „Katechismen“ zu verfassen, um die wichtigsten Aussagen der Bibel zu bündeln. Das kam für damalige Verhältnisse einer Revolution gleich: Denn Christen, die es gewohnt waren, sich zu ducken und alles zu schlucken, was ihnen die allein seligmachende Kirche vorsetzte und zu glauben befahl – die wurden nun zum Fragen ermuntert und in ein Gespräch verwickelt. Das Individuum wird geboren, der Mensch erkennt seine persönliche Verantwortung für sein Leben. Martin Luther hat es mit seiner Kernfrage auf den Punkt gebracht: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Die uralte kirchliche Lehre aus Rom wird hinterfragt, mit der Bibel konfrontiert und an ihr allein gemessen. Nun sollte ein jeder Christ als freier Herr über alle Dinge nur noch Jesus Christus gehorchen, indem er auf das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders hörte. Zacharias Ursinus, Jurist und Schüler von Philipp Melanchthon, erhielt den Auftrag, die Aussagen der Bibel zu bündeln – und zwar im Frage- und Antwortspiel des Heidelberger Katechismus. Er nimmt uns Menschen darin als fragende Wesen ernst und ermuntert uns immer neu zum Nachdenken, zum Weiterfragen.

Liebe Gemeinde, in meiner Jugend gab es eine himmlische und eine irdische Trinität. Die himmlische bestand aus dem Einen Gott: Vater, Sohn und Heiligem Geist, mit starkem Drang zur Erde. Und die irdische Trinität aus Bibel, Gesangbuch und Katechismus, mit starkem Drang zum Himmel. Ich selber bin noch mit dem „Heidelberger“, wie wir ihn liebevoll nannten, aufgewachsen: Im Konfirmandenunterricht mussten wir mindestens zehn Fragen auswendig lernen. Meine Großeltern konnten noch alle 129 Fragen aufsagen, natürlich mit den Antworten dazu. Die Bibel lag sowohl in den Kirchenbänken aus, um den Predigttext mitzuverfolgen. Und sie lag zu Hause bei meinen Großeltern neben dem Küchentisch: Nach dem Essen kam die sogenannte „Tageslese“ dran, dann wurde noch das Gesangbuch aufgeschlagen und ein Lied gesungen. Und der Heidelberger setzte dem Ganzen das Krönchen auf, denn er fasste zusammen, worin unser Christ sein besteht; er galt als „Trostbuch des Glaubens“, und er leitete zum Beten an. Unsere reformierten Mütter und Väter hielten daran fest: Wahrer Trost lässt sich nicht verdienen, nur schenken. Wahrer Trost liegt nicht in uns selbst begründet, in unserem Können und Leisten, in unserem Hab und Gut, in unserer Arbeitskraft und Geisteskraft. Trost wird mir geschenkt, „sola gratia“, also gratis, in der Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus. Unsere Vorfahren gingen davon aus, dass sich Bibel, Gesangbuch und Katechismus gegenseitig erklären – wobei der Bibel die höchste Autorität zukam.

Lang, lang ist’s her, mögen wir denken. Die irdische Trinität kommt kaum noch zum Zuge, Bibel, Gesangbuch und Heidelberger haben schon bessere Zeiten erlebt. Das stimmt gewiss. Aber grundsätzliche Fragen sind geblieben, zum Beispiel: „Warum wirst Du ein Christ genannt?“ (32) Oder: „Was tröstet dich…?“ (52). Gewiss, wir stellen heute manche Fragen anders, und ganz neue sind dazu gekommen: Zum Beispiel die nach der Gerechtigkeit für alle Menschen, nach dem Frieden auf unserer geschundenen Erde und wie wir die gute Schöpfung Gottes nicht weiter plündern, sondern bewahren können. Auch spricht der Heidelberger nicht unsere Sprache, darunter leiden nicht nur unsere Konfirmanden – aber die alten Fragen können zu neuem Fragen anleiten und ermuntern. Gleich in der ersten Frage, die wir heute bedenken, und die unsere Konfirmanden immer noch brav auswendig lernen – da kommt der Mensch als fragendes Lebewesen und zugleich als trostbedürftiges Lebewesen in den Blick:

„Was ist dein einiger Trost im Leben und im Sterben?“ so lautet diese Frage ursprünglich. Als Pfarrer erlebe ich oft, wie trostbedürftig, ja geradezu trosthungrig Menschen sein können: In einer Lebenskrise, im Krankenhaus, am Sterbebett, auf dem Friedhof. Als Pfarrer bin ich selber oft mitgenommen vom Schmerz und den Tränen der Angehörigen, und ich weiß, wie schwer sich wahrer, wirksamer Trost finden lässt; und wie oft kann ich auch mit meinen noch so gut gewählten Worten nicht trösten. Aber auch mitten im Leben sind wir alle trostbedürftige Wesen: Wenn wir uns überfordern, wenn wir enttäuscht werden, wenn wir Hoffnungen und Wünsche begraben müssen, wenn wir am Sinn des Lebens zweifeln. Wie nötig brauchen wir dann jemanden, der zu uns steht, der uns über den Kopf streicht oder in den Arm nimmt, der uns wieder aufrichtet. Und da sagt der Heidelberger: Dieser Jemand hat einen unverwechselbaren Namen, und in diesem Namen ist das Heil der Welt und auch mein Heil begründet: Jesus Christus. In allem Schlimmen, das Dir widerfahren kann – Du bist nicht allein, sondern gehalten und behütet. In Deiner Ohnmacht und Ratlosigkeit wird Dir Jesus beistehen und aufhelfen und Dir neue Orientierung geben. In all Deinen Fragen und Zweifeln bleibst Du nicht auf Dich selbst konzentriert, sondern kannst Dich getrost (!) auf den verlassen, der Dich „aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat.“ Der „Teufel“, liebe Gemeinde, steht für all die finsteren Mächte, die es auf mich abgesehen haben, die in der Welt und auch in meinem Herzen ihr Unwesen treiben können und von Jesus verscheucht werden – auf nimmer Wiedersehen. Und das Wort „Trost“, das viel mit dem Englischen „Trust“, Vertrauen zu tun hat – es steht für die enge Lebensgemeinschaft, die Jesus durch sein Leiden und Sterben und Auferstehen mit mir eingegangen ist, und die er, der Treue, niemals aufkündigen wird. Zacharias Ursinus ist ursprünglich – ganz reformiert! – vom Bund Gottes ausgegangen und hat auf die Frage nach dem „einigen Trost“ geantwortet: „Dass Gott mich in seinen Gnadenbund aufgenommen hat.“ Der „einige Trost“ besteht im Grunde darin, dass mich nichts und niemand von Gottes Liebe trennen kann (Röm 8), dass Jesus Christus sich so sehr mit mir verbunden, „verbündet“ hat, dass ich im Bund mit ihm nur noch für ihn lebe und einmal für ihn sterbe. Gewiss können und werden mir noch „Haare von meinem Haupt fallen“, schwarze oder graue oder weiße – aber ich soll gewiss sein, dass Gott unter allen Umständen zu mir steht und mich nicht fallen lässt.

Ich bin nicht mehr Herr über mein Leben, und war es wohl auch nie – darin bestand mein Selbstbetrug. Ein anderer steht für mich ein, auf den ist unbedingt Verlass. Weil ich ihn kenne, kann ich mich selbst verlassen – und mich auf ihn allein verlassen.
Der Theologe Ernst Lange erzählt die Geschichte von den beiden Jungen, die auf eine hohe Mauer geklettert sind, nun trauen sie sich nicht mehr herunter. Ein Mann kommt, stellt sich unten an die Mauer und sagt: „Springt!“ Der eine Junge springt sofort, der andere traut sich nicht. Warum? Der eine springt, weil er seinen Vater sieht, in dessen Arme er sich schon so oft hat fallen lassen. Die Frage 1, liebe Gemeinde, will uns Mut machen, Gott zu vertrauen und ihm in die Arme zu springen. Wir können uns fallen lassen, denn der Heilige Geist macht uns dazu willig und bereit – nicht nur zum Springen, sondern zu einem neuen Leben in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

Liebe Gemeinde, lasst uns dem vertrauen, der für uns einsteht im Leben und im Sterben – mit seinem guten Namen. Wir hoffen, dass er den Tag heraufführen wird, an dem wir ihn nichts mehr fragen werden (Joh 16,23), und an dem kein Mensch mehr trostbedürftig ist. Auch heute ruft er uns durch den Propheten zu:

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. DU bist MEIN.“ (Jes 43,1).

Predigt gehalten am 14. April 2013 in der Ev.-reformierten Kirchengemeinde Nürnberg.