Heidelberger Katechismus Frage ...
Den Heidelberger (anders) hören
Dieser Text regt zum eigenen (Weiter-)Denken an!
Ein Veranstaltungsvorschlag

Den Heidelberger Katechismus vortragen lassen und einmal (anders) hören – in Auszügen oder ganz. In Abwechslung vielleicht mit solistischen Musikstücken.
Dialogisch. Szenisch. Kommunikativ. Ohne viele Erklärungen. Denn dieser Text regt zum eigenen Denken an, berührt existentielle Fragen, weckt Widerspruch oder Zustimmung, fordert heraus!

Programmvorschläge, weitere Infos und Kontakte zu Schauspieler/inne/n über Aleida Siller, E-Mail: info@reformierter-bund.de



Frage 1

Predigt von Pastor Thomas Allin, Nordhorn

"Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?"

Liebe Gemeinde,
Veranstaltungsreihen, eine Wanderausstellung, Broschüren und Buchveröffentlichungen, Vorträge und Predigten zum Thema, sogenannte Giveaways, kleine Artikel zum Verschenken, sie alle begleiten das Jubiläum: 450 Jahre Heidelberger Katechismus. Sind 450 Jahre ein Grund zu feiern? Hand aufs Herz: Viele ältere Gemeindeglieder, die damals etliche oder sogar alle Fragen und Antworten auswendig lernen mussten, erinnern sich nicht unbedingt gerne an dieses kleine Büchlein, das die Grundlage des Konfirmandenunterrichtes bildete. Und die Jüngeren werden heute nur noch sporadisch mit Fragen dieses Lehrbuches konfrontiert, das in Sprache und Inhalt fremd und wenig modern wirkt. Ist der HK noch zeitgemäß, lohnt es sich überhaupt, sich mit ihm auseinanderzusetzen? Ich meine ja, denn er enthält Glaubenssätze, die noch immer Bedeutung und Gewicht besitzen, deren Tiefe aber neu entdeckt werden muss.

Ich möchte heute über die wohl prominenteste Frage predigen, die Frage 1, die wie eine Fanfare oder eine feierliche Einleitungsformel den Auftakt zu den insgesamt 129 Fragen und Antworten bildet.

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir,
sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.
Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt
und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so,
dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel
kein Haar von meinem Haupt kann fallen
ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.
Darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist
des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, ihm forthin zu leben.

Die Antwort sagt alles, was es zu sagen gibt, kurz und knapp und gleich zu Beginn. Das, was folgt, ist lediglich Ausführung dieser Grundlegung: Mein einziger Trost ist, dass ich im Leben und im Sterben zu Jesus Christus gehöre. Eine seltsame Antwort, die sicherlich von den wenigsten Bundesbürgern sinngemäß oder gar mit den Worten des Katechismus so nachgesprochen werden würde. Trost, Kraft, Bestätigung suchen viele durchaus woanders als an der Seite unseres Gottes.

Fragen wir doch einmal einen erfolgreichen Geschäftsmann nach dem, was ihn trägt und tröstet: „Mich motiviert und tröstet der Erfolg, den ich habe. Es tut gut, wenn einen die Leute anerkennen, wenn sie meine Arbeit, mein Durchsetzungsvermögen, meine Phantasie und meine Ausdauer wertschätzen. Etwas geschafft zu haben und weiteres zu schaffen, das zählt für mich, da lohnt sich auch der Aufwand, den ich treibe. Sicherlich, das alles kostet Kraft, Gesundheit und Zeit. Ich selber und meine Familie müssen Opfer bringen, aber dafür geht es uns ja materiell gut. Geld spielt keine große Rolle, es ist genug da. Wenn ich mit ungefähr 60 kürzer trete, dann bleibt ja noch Zeit für Hobbies, Freunde und mehr."
Ich frage ihn: "Was tröstet dich, wenn der Erfolg ausbleibt, wenn die Konkurrenz stärker und besser ist, wenn dein Körper und die Seele vor den hohen Ansprüchen und Anspannungen in die Knie gehen. Was tröstet dich, wenn die Familie dieses Roulettespiel um Erfolg und Glück nicht mehr mitspielen will ?"

Fragen wir doch einmal einen Lebens- und Liebeshungrigen nach dem, was ihn so trägt und tröstet:
"Es streichelt meine Seele, wenn ich bei Frauen gut ankomme. Ich bin nicht verheiratet, weil mir eine Frau gar nicht geben könnte, was ich so brauche, an Zuneigung und Liebe, meine ich. Meine Beziehungen dauern niemals besonders lange. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn Frauen meine ungepflegten Seiten entdecken. Wenn sie ein Auge auf mich werfen, abends in der Diskothek, sie mich anlächeln und zu einem Gespräch bereit sind, dann fühle ich mich stark und bestätigt. Nun, ich muss da schon etwas für mich tun. Kosmetik, feine Klamotten, Sonnenbank und Fitnessstudio gehören für mich zum Standard. Das ist aufwendig, bestimmt, aber wer mag schon einen Allerweltstypen, wie er an jeder Straßenecke zu haben ist."
Ich frage ihn: "Was tröstet dich, wenn dein Typ nicht mehr gefragt ist, wenn deine Fettpolster stärker werden als deine Selbstdisziplin und Bereitschaft, dich zu quälen. Was tröstet dich, wann du alt und gebrechlich wirst und du noch immer hungrig wie ein Wolf auf der Suche nach Liebe bist?"

Liebe Gemeinde, was tröstet, was ist dein einziger Trost, der wahrhaftig trägt und nicht wie ein billiges Parfum zu rasch verfliegt? Viele Versuche, die wir Menschen anstellen, erweisen sich letztlich als trost-los und als wenig tragfähig. Wir sind eben nicht immer so stark und unantastbar, als dass wir in unseren Leben auf unsere Leistungsfähigkeit allein setzen könnten.

Was wahrhaftig tröstet ist die Tatsache, dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Das wissen und bekennen jedenfalls reformierte Christen. Wir gehören also nicht uns selbst und damit sind auch unsere Kinder nicht unser Eigentum. Sie gehören zu uns, natürlich, aber sie sind nicht unser Besitz. Das ist eine gute Nachricht für diejenigen Kinder, die ihren Eltern ein Leben lang sinnstiftend zur Seite stehen sollen. Diese Behauptung stellt eine besondere Herausforderung für uns Eltern dar, die wir beauftragt sind, unsere Sprösslinge zu selbstständigen, glücklichen Menschen zu erziehen und sie aus dem Nest zu stoßen.
Die Behauptung, der einzige Trost sei der, der die Beziehung zu Christus spendet, ist, so denke ich, Ausdruck der großartigen Erfahrung, die wir mit Gott machen durften. Hier schwingt etwas von dieser unglaublichen Freude mit, die uns erfüllt, wenn wir begreifen, welchen einzigartigen Freund wir da an unserer Seite haben. Aber auch seine Freundschaft bewahrt uns nicht vor Elend und mühevollen Herausforderungen, keine Freundschaft vermag das. Unser Glaube ist ja auch kein Allheilmittel, das wir wie eine Medizin bei Bedarf drei Mal täglich einnehmen könnten, bis sich der Lebensschmerz verzogen hat. Seine Freundschaft erspart uns nichts, aber sie schenkt uns die innere Kraft, alles, sogar die Erfahrung des Todes, zu bewältigen.

Diese innere Festigkeit und Stärke ist ursprünglich und eigentlich mit Trost gemeint. Das Herkunftswörterbuch bestätigt diesen Ursprung. Gott schenkt uns durch seine Liebe innere Festigkeit, Stärke, die uns hilft, die sich stellenden Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen. Wahrhaftig tröstlich empfinde ich es, wenn ich weiß, dass mich Menschen, Freunde, begleiten, tatsächlich, ganz praktisch oder auch im Gebet. Die größten Lasten werden eben erträglicher, wenn andere mir etwas von dem Schweren abnehmen, wenn ich weiß, dass ich auch im finstersten Tal nicht alleine gelassen bin. Und Gott? Gott ist eben bereit, überallhin mitzugehen. Er macht nicht kehrt, wenn es brenzlig wird oder er besonders gefordert wäre. Darum stirbt er, weil wir Menschen eben sterblich sind.

Mir fällt dabei diese bewegende Geschichte ein, die in der unmenschlichen Zeit des Nationalsozialismus so viel anrührende Mitmenschlichkeit verströmt. Ich meine diese wahre Begebenheit, die sich 1942 im KZ Treblinka ereignete. In diesen Tagen, an denen wir an den Beginn dieser schrecklichen Epoche deutscher Geschichte denken, an die Befreiung des KZs in Auschwitz oder an Stalingrad, erinnere ich gerne an diese Geschichte echter menschlicher Freundschaft. Sie ist mit einem Namen verbunden: Janusz Korczak. Ob sich diese Geschichte genauso zugetragen hat, wie man sie erzählt, das weiß ich nicht. Zeugen waren SS-Männer, er selber und seine Kinder fanden den Tod.

Der polnische Kinderarzt und Leiter eines Waisenhauses tat sowohl im Warschauer Getto als auch in Treblinka alles für die ihm anvertrauten Kinder, um ihnen zu helfen, das Unerträgliche zu ertragen. Seine Freundschaft machte selbst vor der letzten Lebensstation nicht halt, die die Kinder zu bewältigen hatten. Obwohl er nicht auf der Todesliste stand, auf der die zu vergasenden Menschen verzeichnet waren, begleitete er seine Kinder in die Gaskammer. Und Janusz Korczak erzählte, so heißt es, den Kindern, seinen Kindern Geschichten.
Er erzählte Geschichten, die in keinem Buch festgehalten werden konnten. Denn alle, die sie gehört hatten, wurden ermordet. Es waren sicherlich die schönsten, die er sich je ausgedacht hatte. Denn es waren die letzten für diese Kinder. Und sie vergaßen, hoffentlich, wo sie waren. Sie weinten nicht als sie sich ausziehen mussten. Sie gingen arglos in die Gaskammer. Und der Freund Janusz erzählte Geschichten. Und diejenigen, die durch den Spion in der Stahltür guckten, sahen, dass die Kinder ganz ruhig da standen. Keines schrie, wie es sonst üblich war, wenn sie Angst bekamen. Sie hingen an seinen Lippen. Und Janusz Korczak erzählte Geschichten. Das war das letzte, was er für seine Kinder tun konnte. Das war 1942 in Treblinka. Dieser besondere Freund konnte den Kindern den Tod nicht ersparen. Aber er spendete ihnen echten Trost. Er gab ihnen durch seine Freundschaft und Hingabe diese innere Festigkeit, die selbst im Tod noch trägt.

Ungefähr im Jahre 30 hat Jesus Christus in Jerusalem am Kreuz mit seinem teuren Blut für alle unsere Sünden bezahlt und uns aus aller Gewalt des Teufels erlöst. Auch er hätte sich diesen Weg ersparen können. Aber er war sich nicht zu schade, an unserer Seite zu bleiben, wie wir und für uns zu sterben. Das ist die höchste Form der Solidarität, der größte Freundschaftsbeweis, den ich mir vorstellen kann. Wir wissen ja: Wir Menschen werden zu Gegnern des Lebens, weil wir tun, was Gott missfällt und uns selbst und der gesamten Schöpfung schadet. Wir kehren Gott den Rücken, ihm, dem Schöpfer und Liebhaber des Lebens. Gott selber überwindet von sich aus diese Trennung, die wir da zwischen uns und ihm aufgebaut haben. Er bringt die zerrütteten Familienverhältnisse zwischen ihm, dem Vater, und uns, seinen Kindern wieder Ordnung. Er straft uns nicht. Er liebt und steht für uns ein. Das ist seine Art, uns Freundschaft zu erweisen. Er schenkt uns nicht nur das Leben, sondern er sorgt dafür, dass es gelingen kann. Wir dürfen trotz unserer Schwächen und Grenzen selbstbewusste, lebensbejahende Menschen werden, die weder das Leben noch den Tod fürchten müssen. Wir sind zum aufrechten Gang befähigt und werden von Gott dazu ermutigt.

Das, liebe Gemeinde, ist der Trost der wahrhaftig zu trösten, zu stärken vermag. Gott schenkt uns durch seine Liebe, Freundschaft, Hingabe und Begleitung das feste Fundament, auf dem unser Leben, ihres und meines, und das jedes anderen Menschen gelingen kann. Er erspart uns nicht das Leid und die Herausforderungen, die wir zu bestehen haben. Aber er befähigt uns immer wieder, dem Leben zu vertrauen und durch die finsteren Täler unserer Seelen hindurch zurück zum frischen Wasser und zur grünen Aue zu gelangen. Darum bewahrt er mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Vor dieser sperrigen, schwer verständlichen Aussage der Frage 1 will ich mich am Ende dieser Predigt nicht drücken. Der Heidelberger philosophiert an dieser Stelle nicht über die Hintergründe der menschlichen Glatzenbildungen, die hat medizinische oder genetische Ursachen. Er behauptet auch nicht, dass ohne den Willen Gottes nichts auf dieser Welt passiert. Morde oder andere Formen der Gewalt sind nicht gottgewollt, im Gegenteil. Sie widersprechen seinem Willen. Die Botschaft an dieser Stelle lautet vielmehr: Gott passt auf mich auf, er will mein Bestes, er hat mich im Blick, er übersieht nichts, keine Kleinigkeit. Er will, dass ich selig, das heißt glücklich lebe. Das bleibt festzuhalten, darauf will ich vertrauen.

Liebe Gemeinde, ich möchte mit einem wunderbaren Wort des ökumenischen Rates der Kirchen schließen. Es trägt die Überschrift: Feier des Lebens. Zu dieser Feier sind wir von unserem in das Leben verliebten Gott eingeladen:

Mitten in Hunger und Krieg feiern wir was verheißen ist: Fülle und Frieden.
Mitten in Drangsal und Tyrannei feiern wir, was verheißen ist: Hilfe und Freiheit.
Mitten in Zweifel und Verzweiflung feiern wir, was verheißen ist: Glauben und Hoffnung. Mitten in Furcht und Verrat feiern wir, was verheißen ist: Freude und Treue. Mitten in Hass und Tod feiern wir, was verheißen ist: Liebe und Leben.
Mitten in Sünde und Hinfälligkeit feiern wir, was verheißen ist: Rettung und Neubeginn. Mitten im Tod, der uns von allen Seiten umgibt, feiern wir was verheißen ist durch den lebendigen Christus.
Amen.

Predigt gehalten am 3. Februar 2013 in der Alten Kirche und in der Neuen Kirche in Nordhorn