'Am Judentum vorbeidiskutiert'

74. Hauptversammlung des Reformierten Bundes - Schwerpunkt jüdisch-christlicher Dialog


Prof. Dr. Micha Brumlik © RB

Rund 40 Jahre liegt der Rheinische Synodalbeschluss zurück - der jüdisch-christliche Dialog steht aber immer noch am Anfang. Woran also fehlt es? Fragten sich unsere Gastredner Dr. Manuel Goldmann und Prof. Dr. Micha Brumlik.

„Umkehr und Erneuerung“: Der Rheinische Synodalbeschluss von 1980 markierte einen Neuanfang im jüdisch-christliche Dialog. Löste er aber sämtliche offene Fragen? Wie steht es um den interreligiösen Austausch heute? Bei der 74. Hauptversammlung in Halle blickte der Reformierte Bund auf die letzten rund 40 Jahre seit dem Beschluss zurück - das Resümee: Wir stehen immer noch am Anfang.

Der Rheinische Synodalbeschluss habe die Debatte zwar befeuert, sagte Gastredner Pfarrer Dr. Manuel Goldmann, der unter anderem mehrere Jahre als Direktor des Predigerseminars von Kurhessen-Waldeck tätig war. Fundamentale Veränderungen beschränkten sich demnach bislang auf eine kleine Minderheit. Vielmehr versuchten Christen häufig das Judentum in die eigene christliche Theologie zu integrieren. Auch mit Blick auf die Gemeinsame Erklärung zwischen der Katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre von 1998 kritisierte Goldmann in Anlehnung an den Theologen Friedrich-Wilhelm Marquardt, es werde immer noch "am Judentum vorbei diskutiert". Der Bund als scheinbar verbindendes Element und "begriffliche Umarmungsgeste" werde idealisiert, das verkenne aber die Unterschiede, die sich spätestens bei Beteiligung des orthodoxen Judentums am Dialog zeigten. Goldmann plädierte in seinem Impulsvortrag deshalb für "produktives Streiten" und eine "gefeierte Vielfalt der Perspektiven".

Auch Prof. Dr. Micha Brumlik (Interview mit reformiert-info), Senior Advisor am Zentrum Jüdische Studien Berlin/Brandenburg und Seniorprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, sieht Schritte der Annäherung - betonte in seinem Impulsvortrag aber zugleich die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum als eine Herausforderung im Dialogprozess. Der gemeinsame Boden werde häufig nicht über den Glauben sondern die Moral gesucht, "Sittlichkeit als Kern der Religion" verstanden. Ein Beispiel sieht er in einer Erklärung jüdischer Gelehrter unter dem Titel "Dabru Emet" aus dem Jahr 2000. Eine der Thesen: Juden und Christen würden die moralischen Grundsätze der Tora anerkennen. Auch Vertreter des orthodoxe Judentums unterzeichneten die Erkärung. Brumlik sieht darin einen wichtigen Schritt im jüdisch-christlichen Dialog, der allerdings auch in der Auferstehung als Kern des christlichen Glaubens Grenzen gesetzt seien, so Brumlik: "Die Aussage, dass beide Religionen moralische Vorstellungen der Tora übernehmen, ist also schief."

Die 74. Hauptversammlung des Reformierten Bundes befasst sich unter dem Titel "40 Jahre christlich-jüdischer Dialog" mit Stationen der jüdisch-christlichen Weggemeinschaft, aus unterschiedlichen Perspektiven. Sämtliche Teilveranstaltungen finden in Halle an der Saale statt, drei Jahre nach dem Anschlag auf die Synagoge. Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg unterstützte die Veranstaltung mit einer Bibelarbeit zu Dtn 8, 1-10, in der sie betonte, wie wichtig das Bewusstsein der Vergangenheit sei. Auch wenn wir mit Wohlstand versehen seien: "Es war Gott, der sein Volk mit täglichem Brot versorgte. An dieser Abhängigkeit hat sich bis heute nichts geändert."

Stimmen aus dem Reformierten Bund zeigten in gemeinsamen Diskussionen, wie vielfältig die persönlichen Erfahrungen des jüdisch-christlichen Dialogs ausehen können. Michael Weinrich betonte, wie der Rheinische Synodalbeschluss einen Prozess in Gang gesetzt habe, der noch längst nicht beendet sei. Friederike Ursprung bemerkte, dass die Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben vor allem auf sachlicher Ebene stattfinde - auf persönlicher Ebene aber immer noch wenig ausgeprägt sei. Meike Wächter erzählte von einem Besuch mit Jugendlichen am jüdischen Gymnasium Berlin und den strengen Sicherheitsvorkehrungen: "Wir sollten uns nicht nur theologisch und intellektuell mit dem jüdischen Glauben befassen", so Wächter. "Wir sollten eine Sensibilität wecken für den Alltag jüdischer Kinder und ihre Lebenswirklichkeit."


RB