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Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm sei unserm Gott im Heiligtum: Psalm 68
Predigt zum 500. Geburtstag von Johannes Calvin
Liebe Gemeinde,
Mehr als jedes andere biblische Buch hat Johannes Calvin die Psalmen geliebt – immer wieder hat er sie erforscht, über sie gepredigt, sie wissenschaftlich erörtert. Auch hat er ihre Vertonung gefördert und dem Psalmengesang einen zentralen Rang im Gottesdienst zugewiesen.
Denn gerade in den Psalmen wird, so Calvin, Gottes Wort in einer Weise vernehmbar, die den Menschen direkt anspricht, die ihm hilft, die eigene Situation besser und tiefer zu verstehen und gleichzeitig Trost und Halt im Glauben an den lebendigen Gott zu finden.
Was für die Psalmen als ganzes gilt, lässt sich noch einmal in besonderer Weise im Blick auf Psalm 68 sagen, vor allem für die Strophe, die wir zuletzt gesungen haben. Viele Gemeinden singen sie zum Ende eines Gottesdienstes; sie wird angestimmt bei Beerdigungen, aber auch bei fröhlichen Anlässen und ganz sicher bei wichtigen wie etwa einer Synode. Ob als gesungener Trost oder Dank, als Orientierung oder als Ermutigung - die Gemeinde stimmt ein in den Gesang, der den Versen 20 und 21 des biblischen Psalms nachgedichtet ist:
Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm sei unserm Gott im Heiligtum, der Tag für Tag uns segnet,
dem Gott, der Lasten auf uns legt, doch uns mit unsern Lasten trägt und uns mit Huld begegnet.
Sollt ihm, dem Herrn der Herrlichkeit, dem Gott vollkommner Seligkeit, nicht Ruhm und Ehr gebühren?
Er kann, er will, er wird in Not
Vom Tode selbst und durch den Tod
Uns zu dem Leben führen.
So wird gesungen. Im Psalm selbst lauten die Verse:
Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.
Wir haben einen Gott, der da hilft und den Herrn, der vom Tode errettet. (Psalm 68, 20.21).
Liebe Gemeinde, wenn ich mich auch in meiner Predigt von diesen Zeilen anleiten lasse, dann deshalb, weil sie uns helfen, ein zentrales theologisches Anliegen Calvins zu verstehen und in seiner Bedeutung für uns heute zu erschließen. Die Rede ist von der Ehre Gottes. Soli deo gloria – Gott allein die Ehre; dieses Bekenntnis, dieser Aufruf findet sich in Calvins Schriften wieder und wieder, in ihm gipfelt sein theologisches Hauptwerk, die Institutio: Soli deo gloria.
Dies hat zu Einsprüchen und Verdächtigungen geführt: Wird vor lauter Betonung der Souveränität und Mächtigkeit Gottes der Mensch nicht herabgesetzt? Muss so eine Theologie nicht dazu führen, dass ich mich am Ende klein und geduckt fühle? Und dazu scheint zu passen, was man an Herbheit und Unnahbarkeit bei Calvin selbst meint ausmachen zu können und fertig ist das Zerrbild des theologischen Terroristen von Genf.
Liebe Gemeinde, nein! Unser Psalmwort zeigt, dass die Kritik zu kurz greift und deshalb ganz in die Irre führt. Denn es geht ja gar nicht um eine abstrakte Überlegenheit und Mächtigkeit Gottes, sondern um die Ehre des Gottes, der den Menschen mit Huld, also mit Barmherzigkeit und Liebe zugetan ist. Ihn zu ehren bedeutet, die Spur seines Segens, seiner Hilfe im eigenen Leben zu entdecken. Ihn rühmen, das heißt Kontakt zu dem zu suchen, der meiner Lebensnot ein Ende machen kann und dem selbst der Tod keine unüberwindliche Schranke zu setzen vermag. Plakativ formuliert: Gott groß sein lassen führt zu Lebensgewinn. Gottes Ehre das ist unsere Freiheit.
Liebe Gemeinde, was das bedeutet, bekommt Kontur, wenn wir uns auf die Erfahrungen besinnen, mit denen diese Theologie verbunden ist. Seit seiner Hinwendung zum reformatorischen Glauben ist Johannes Calvin wie viele in seiner französischen Heimat ein äußerlich bedrohter und innerlich angefochtener Mensch. Auch in Genf, wo ihn die Flucht hingetrieben hat, geht sein Bemühen um einen Neuaufbau der Kirche einher mit Auseinandersetzungen und Anfeindungen. Sie haben ihm die meiste Zeit seines Lebens auf das Schwerste zugesetzt. Schlimmer noch ergeht es den neu entstehenden Gemeinden in Frankreich. Sie werden unterdrückt und verfolgt, oft genug auch hingemordet. Fast dreihundert Jahre lang werden diese Reformierten – Hugenotten heißen sie schon bald – verfolgte Gemeinden sein. Bis auf ganz wenige Ruhepausen immer neu bekämpft und in Kriege verstrickt. Gott allein die Ehre – für die Verfolgten und Geschundenen ist dies Theologie der Befreiung. Und deren Botschaft lautet: Die Mächtigen, die Euch jetzt so sehr zu schaffen machen, sie sind begrenzt in ihrer Macht.
Was sie sich gegen euch herausnehmen, steht ihnen nicht zu. Als Herren über Leben und Tod spielen sie sich auf – aber ihnen gebührt nicht euer Respekt und erst recht keine Ehre. Gott allein die Ehre, das ist ein Protestschrei gegen die Gewalt derer, die sich an seiner Gemeinde vergreifen. Und wenn die Verfolgten dann wieder und wieder eilig aufbrechen, um sich in den Wäldern zu verstecken, dann müssen sie zwar ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen, aber sie nehmen eine kleine zusammenklappbare Kanzel mit und das Buch mit den gesungenen Psalmen; ihr Glaubensbuch, das den Verfolgern regelrecht verhasst ist. Im Verborgenen, aber ungebeugt versammeln sie sich um Gottes Wort und singend klammern sie sich an den, der allein jetzt noch Halt zu geben vermag: Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm sei unserm Gott im Heiligtum, der Tag für Tag uns segnet… Ihm und nur ihm werden sie sich unterwerfen, weil sie bei ihm Halt und Trost finden. Aber wie kommen die Verfolgten dazu, zu singen: „Der Tag für Tag uns segnet…?“
Liebe Gemeinde, das Leben dieser Psalmsänger erlaubt es nicht, sich eine religiöse Scheinwelt aufzubauen. Aber ihr Glaube öffnet ihnen den Blick. Auch in ihrer bis auf das äußerste angespannten Notlage entdecken sie Zeichen dafür, dass Gott sie nicht aufgegeben hat, Spuren seines Segens. Und sei es eben dies, dass sie in aller Not standhalten, zueinander stehen und ihre Hoffnung nicht verlieren; dass sie wie Paulus stammeln können: „In Ängsten und siehe: wir leben.“
[Musik: Chor]
Liebe Gemeinde, nicht von ungefähr ist unser Psalm die Hugenottenmarseillaise genannt worden „Gott allein die Ehre“ – das will verstanden werden als ein Wort des Trostes und des trotzigen Widerstands. Allerdings: „Der Gott der Lasten auf uns legt…“ – aus dem Lebenszusammenhang herausgelöst, konnte diese Zeile zu einem kalten theologischen Dogma werden. Das lautet: Alles ist von Gott geschickt, auch alles Leiden und uns bleibt nur übrig, uns zu fügen. Ein Fatalismus, der weder der Bibel noch auch der Auslegung Calvins gerecht wird. Nicht als zeitloses Dogma, sondern als Gebet will dieser Satz gehört werden. Als Gebet wagt er in äußerster Bedrängnis das Bekenntnis: Auch Ihr, unsere Unterdrücker, seid der Herrschaft Gottes unterworfen. Wir verstehen nicht, warum Gott Euch jetzt nicht in den Arm fällt, aber unser Vertrauen in ihn bleibt größer als die Angst vor Euch und so erfahren wir, dass er uns mit unsern Lasten trägt. Also auch dies: Ein getrostes und trotziges Festhalten an dem, dem allein die Ehre gebührt, weil er die Macht hat, die Seinen mit Segenskraft zu stärken, sie im Sterben zu trösten und jenseits des Todes neues Leben zu eröffnen.
Solches Gottvertrauen setzt ungeahnte Energien frei. Davon zeugen der Widerstand und die Solidarität der Verfolgten. Calvin hat die Glaubensflüchtlinge von Genf aus unermüdlich unterstützt. In langen Briefen spricht er ihnen Trost zu und ermutigte sie zum Durchhalten. Zugleich organisiert er praktische Flüchtlingshilfe. In die steckt er auch den größten Teil seines persönlichen Vermögens. In Genf entstehen soziale Hilfsnetze; man schafft neue Industriezweige, um die Hinzugekommenen in Arbeit und Brot zu bringen. Man kümmert sich um Bildungseinrichtungen, um die Kinder von der Straße zu holen und sie auf ein eigenständiges, mündiges Leben vorzubereiten. Zum Bekenntnis der Ehre Gottes gehört der Einsatz für menschliche Gerechtigkeit. Das sind die beiden Seiten derselben Medaille.
Gott groß sein lassen, liebe Gemeinde, weist uns ein in ein Leben im menschlichen Maß. Das ist wohl das Wichtigste, was es für uns neu zu entdecken gibt. Wir lernen, in unseren Stärken die Grenzen zu achten und in unserer Schwäche nicht zu resignieren. Wie lebensabträglich menschlicher Größenwahn ist, das steht uns in diesen Zeiten der Maßlosigkeit plastisch vor Augen – es sollte uns aber auch bewusst sein, wie gefährlich die Resignation ist:
Wir können dankbar sein, dass wir als Christen in Deutschland unseren Glauben ohne Angst leben können. Aber gerade deshalb geht es nicht an, dass wir das Schicksal verfolgter Christen in vielen Teilen unserer Welt so wenig im Blick haben – Unrecht einfach geschehen lassen ist die schlimmste Form der Resignation! Wie viel getrösteter könnten verfolgte Glaubensgeschwister sein, wenn von uns allen die klare Botschaft ausginge: Wir sehen über eure Notlage nicht hinweg. Ihr könnt unserer Aufmerksamkeit und unserer Solidarität gewiss sein. Wir werden eurer in unsere Fürbitte gedenken – und zwar regelmäßig und nicht nur an einem speziellen Sonntag im Jahr. Wir haben auch in diesen krisenhaften Zeiten viel zum Teilen, an Interesse, an Mitgefühl und auch an Geld und Gut. Und wir wollen und sollen unseren leidenden Geschwistern eine verlässliche Lobby sein. Liebe Gemeinde: Domini sumus – Wir sind des Herrn! Und deshalb sollen wir uns, was unsere Möglichkeiten betrifft, nicht schwächer machen als wir sind.
Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm sei unserm Gott im Heiligtum. Gott zu ehren – das war für Johannes Calvin eine Lebenspraxis und eine Herzensangelegenheit. Und so hat dieser streng denkende Theologe sich als Bild für sein Sigel eine ausgestreckte Hand gewählt, die Gott das Herz darreicht. Dass unser Herz zu Gott findet, dazu hilft es, wieder und wieder einzustimmen in die Lieder von der Ehre Gottes: Er kann, er will, er wird in Not, im Tode selbst und durch den Tod uns zu dem Leben führen.
Amen
Gehalten im ARD-Fernsehgottesdienst am 12. Juli 2009
Pfr. D. Peter Bukowski, Moderator des Reformierten Bundes, Direktor des Seminars für pastorale Aus- und Fortbildung Wuppertal